17.09.2009 / "Eine Herausforderung für die Politik"
Der Standard, 17. Sept. 2009
Historiker im Interview
"Eine Herausforderung für die Politik"
Antisemitische Vorurteile sind noch tief verankert - In einem Wahlkampf der Gefühle kommen sie hoch, analysiert der Historiker Werner Bundschuh die aktuelle Situation in Vorarlberg
STANDARD: Laut Umfrage des Instituts Berndt halten nur
16 Prozent die Äußerung des FPÖ-Spitzenkandidaten gegen den Direktor
des Jüdischen Museums, "der Exil-Jude aus Amerika solle sich nicht in
die Innenpolitik einmischen" , als antisemitisch. Wie ist das zu
deuten?
Bundschuh: Das Ergebnis zeigt, dass ein latenter Antisemitismus ohne Juden vorhanden ist, Vorurteile noch tief verankert sind. Offensichtlich ist dem überwiegenden Teil nicht klar, was verwerflich an dieser Aussage ist. Dieter Egger spielt ja mit der Konnotation von antisemitischen Klischees. In der Kombination dieser Einzelsegmente werden ganz tiefliegende Vorurteilsstrukturen angesprochen.
STANDARD: Welche Chiffren verwendet Egger?
Bundschuh: Abgesehen davon, dass Hanno Loewy aus Frankfurt stammt und in Hohenems lebt, weder im Exil war noch ist: Beim Begriff Exil ist nach wie vor die Vorstellung vorhanden: "Während wir die Heimat verteidigt haben, sind die abgehauen." Das korreliert mit Vorurteilsstrukturen gegenüber Deserteuren. Amerika: Da kommt das Vorurteil, US-Juden sind besonders mächtig, gekoppelt mit absurden Weltverschwörungsvorstellungen. Das wurde ja im Waldheim-Wahlkampf 1986 erprobt, ebenso das plakatierte "Jetzt erst recht" . Was bedeutet: Wir lassen uns von draußen nicht dreinreden.
STANDARD: Warum lassen sich Vorurteile so leicht reaktivieren?
Bundschuh: Die lange Vorgeschichte der Einübung macht es möglich. Gewissenlose Politiker nützen das zu einem Wahlkampf der Gefühle.
STANDARD: Versagt hier die Schule?
Bundschuh: Offensichtlich reichen die Instrumentarien der politischen Bildung, des Zeitgeschichteunterrichts nicht aus, um solche Vorurteilsstrukturen, die im familiären, auch im medialen Kontext eingeimpft werden, zu brechen. Das ist eine Herausforderung, vor allem für die Politik.
STANDARD: Ist denn das Bewusstsein bei Politikern vorhanden? FPÖ-Obmann Egger sagt, er habe seine Äußerung nicht antisemitisch gemeint.
Bundschuh: Es ist eine sehr beliebte Strategie zu sagen: "Ich bin nicht antisemitisch, weil ich nicht weiß, was Antisemitismus ist." Die Vereinnahmung des Heimatbegriffes im FPÖ-Wahlkampf zeigt aber, dass so etwas wie Alltagsfaschismus immer noch vorhanden ist. Die FPÖ wurde ohne Not mit dem Argument in die Regierung genommen, dass die Vorarlberger FPÖ anders sei. Ganz Alemannenmythos: Wir sind anders als die anderen. Ein historischer Unfug. Die Abgrenzung zur FPÖ, die Landeshauptmann Sausgruber jetzt gezogen hat, hätte viel früher erfolgen müssen.
Interview: Jutta Berger
ZUR PERSON:
Werner Bundschuh (58) ist Historiker (Obmann der Historiker-Vereinigung Johann-August-Malin-Gesellschaft) und Lehrer.