Gernot Kiermayr-Egger (1990): "Euthanasie" in Vorarlberg – Die Ermordung von "Geisteskranken" aus der Valduna und den Versorgungshäusern
Gernot Kiermayr-Egger
Auszug aus dem Buch: Ausgrenzen - Erfassen - Vernichten. Arme und "Irre" in Vorarlberg (Studien zur Geschichte und Gesellschaft Vorarlbergs, Band 7), Bregenz 1990, S. 190-230
9. Die "Landes-Heil- und Pflegeanstalt Valduna"
unter der Leitung des Dr. Josef Vonbun
9.1. Die Enteignung der "Wohltätigkeitsanstalt"
Die folgenden Ausführungen stützen sich im wesentlichen auf das Werk des Direktors der "Wohltätigkeitsanstalt", Johann Müller: "Die Wohltätigkeitsanstalt Valduna in ihren letzten Zügen" (1). Seinen eigenen Angaben zufolge ist diese Arbeit am 25. Juni 1942 fertiggestellt worden. Müller hatte sich nach seiner Entlassung 1938 in Italien und Dalmatien aufgehalten und lebte ab dem Sommer 1940 als Gast in verschiedenen Pfarrhöfen. Es war ihm gelungen, eine Reihe von Dokumenten aus der "Wohltätigkeitsanstalt" zu retten, die in Abschrift seinem Werk angefügt sind (2).
Müller sieht den Nationalsozialismus als eine ausländische ("preußische") Fremdherrschaft, deren hauptsächliches Opfer in seinen Augen der Besitzstand der katholischen Kirche ist. Die einheimischen Funktionäre des neuen Regimes, z.B. Anton Plankensteiner und vor allem Rudolf Kopf, erscheinen bei ihm als von weit radikaleren Kräften getrieben. Ursprünglich scheinen sich Müller und mit ihm die Apostolische Administrator in Feldkirch von einer Verständigung mit dem Regime die Rettung der "Wohltätigkeitsanstalt" erhofft zu haben. Daß dem nicht so war, geht in der Optik Müllers vor allem auf den Landesfinanzreferenten Dr. Harald Eberl (3), "diese(n) böhmischen Protestant(en)" (4), zurück. Mit Sarkasmus kommentiert Müller auch die Einrichtung einer nationalsozialistischen Betriebszelle, deren Obmann der Knecht Christian Dünser, "vor ca. 3/4 Jahren angestellter Schweineprofessor, in gutdeutschem Sprachgebrauche platterdings Schweinefütterer genannt" (5), wurde. Solcherart wird der Nationalsozialismus rezipiert als ein doppelter Angriff von außen (Preußen, Böhmen) und von unten (ein Schweineknecht als Betriebszellenobmann) gegen (katholisches) Herkommen und Recht.
Bereits am 23. März 1938 erhielt die "Wohltätigkeitsanstalt" einen kommissarischen Verwalter, Alois Griß von der Sparkasse Feldkirch. Er befand Ökonomie und Buchhaltung der Anstalt für ordentlich (6). Geplante und teilweise bereits begonnene Erweiterungsbauten wurden sistiert. Laut Müller teilte Harald Eberl am 2. Juni 1938 mündlich die Absicht der Landesregierung zur Auflösung der Stiftung mit (7). Dabei habe er vom Kuratorium der Stiftung einen entsprechenden Beschluß gefordert. Eine letzte Sitzung des Kuratoriums fand am 14. Juni in Feldkirch statt. Anwesend waren Andre Gassner, Jakob Hueber aus Schruns, Egid Schregenberger aus Bregenz, Johann Peter Sutterlütty aus Egg, Dr. Christian Walter aus Bregenz, Dr. Adolf Ammann aus Bludenz. Der Fabrikant Martin Hämmerle aus Dornbirn hatte sich entschuldigen lassen und teilte später schriftlich mit, daß er nichts gegen die geplante Vereinigung der beiden Anstalten habe. Die anwesenden Mitglieder des Kuratoriums beschlossen einstimmig, an der bisherigen Widmung der Stiftung festzuhalten und einer Vereinigung mit der "Landesirrenanstalt" nicht zuzustimmen. Die Stiftung wurde dem Caritasverband angegliedert (8).
In den folgenden Monaten intervenierten Dr. Arthur Ender, ein Feld-kircher Rechtsanwalt, Weihbischof Tschann und Fürstbischof Waitz bei der Gestapo in Innsbruck, bei Bürckel in Wien und über den Bürgermeister von Brand sogar bei Außenminister Neurath (9), aber ohne Erfolg.
Am 25. Juli 1938 erhielt das Kuratorium die Mitteilung über die Auflösung der Stiftung; eine Beschwerde beim Bundesgerichtshof wurde abgewiesen. Am 12. August 1938 erfolgte die Übergabe an das Land. Johann Müller konnte vom Kuratorium zunächst zur Weiterführung der Geschäfte bewegt werden, mußte aber angesichts der Sperrung aller Konten kapitulieren. Auf eine schriftliche Beschwerde an die Landeshauptmannschaft hin erhielt er am 2. September 1938 seine sofortige Kündigung (10) ohne Pensionsanspruch. Auch der Seelsorgskaplan der beiden Anstalten, Franz Sales Rauch, wurde am 1. Februar 1939 entlassen (11).
9.2. Personelle Veränderungen
Zur Zeit des "Anschlusses" arbeiteten die folgenden Ärzte in der "Landesirrenanstalt": Dr. Albert Längle, seit 1909 Hilfsarzt, seit 1930 provisorischer und seit 1932 definitiver Direktor; Dr. Gebhard Ritter, seit 1925 Assistenzarzt und später Oberarzt; Dr. Hans Steiner, seit 1929 Assistenzarzt (12).
Am 1. Dezember 1938 wurde der Facharzt für Psychiatrie Dr. Josef Vonbun von den neuen Machthabern zum Direktor der vereinigten Anstalt ernannt. 1902 in Altenstadt als Sohn eines Zollbeamten geboren, studierte er in Innsbruck Medizin und promovierte dort 1926. Bis 1928 war er Assistent am Institut für gerichtliche Medizin, dann bis 1931 Assistent an der Nervenklinik. Im August 1931 wurde er Sekundararzt in der niederösterreichischen "Landesirrenanstalt" Mauer-Öhling, wo er bis Ende 1935 blieb. Dann eröffnete er in Feldkirch eine Praxis als Facharzt für Neurologie und Psychiatrie (13). Wahrscheinlich im Laufe des Jahres 1937 wurde Vonbun Mitglied der (illegalen) NSDAP und Sturmarzt der SA (14). Er war auch Mitglied des NSDÄB und anderer nationalsozialistischer Organisationen.
Dr. Albert Längle, als Direktor abgesetzt, wurde für einen nicht genau eruierbaren Zeitraum weiterhin in der Anstalt beschäftigt (15). Dr. Gebhard Ritter hatte im März 1938 um vorzeitige Pensionierung angesucht, wurde aber am 31. März 1939 entlassen. Er war vom 1. Oktober 1939 bis März 1946 leitender Arzt der katholischen Privatanstalt Liebenau bei Tettnang (16). Der Direktor dieser Anstalt informierte übrigens als erster im Oktober 1939 den Anstaltsberater der Caritas-Anstalten Württembergs, Josef Schneider, von dem geplanten Beginn der "Euthanasie" -er hatte davon gerüchteweise aus der nächsten Umgebung Dr. Contis gehört (17). Dr. Hans Steiner war mit einer Unterbrechung im März 1939 (Wehrdienst) bis zum 31. Dezember 1939 in der Anstalt, anschließend beim Gesundheitsamt in Feldkirch beschäftigt (18). Steiner war für die Betreuung der nach den Deportationen in Valduna verbliebenen Kranken zuständig, legte 1942 in Berlin die Amtsarztprüfung ab und war ab 1943 Amtsarzt in Schwaz und Imst (19). Als Sekundararzt wurde zum gleichen Zeitpunkt wie Vonbun der damalige Gemeindearzt von Rankweil, Dr. Leonhard Gassner, aufgenommen.
Auch im Bereich der Pfleger und der Verwaltung gab es Änderungen. Ein neuer Oberpfleger, Bernhard Rothmund, und ein neuer Verwalter, Hugo Madiener, wurden angestellt. Die Stelle eines Pflegers scheint sehr begehrt gewesen zu sein; eine nicht bekannte Zahl von politisch zuverlässigen Männern, meist "alten Kämpfern" mit Versorgungsansprüchen, wurde - zum Mißvergnügen des neuen Direktors - eingestellt (20).
9.3. Valduna vom Dezember 1938 bis zum Beginn der Deportationen
Eine der ersten Amtshandlungen Dr. Vonbuns dürfte die Bekanntgabe einer neuen Bezeichnung für die nun vereinigte Anstalt gewesen sein. In einem Schreiben an die Landeshauptmannschaft (21) beantragte er den Titel "Landes- Heil- und Pflegeanstalt Valduna", wahrscheinlich nach dem Modell der Anstalt Mauer-Öhling.
Die vereinigte Anstalt mußte ohne jede bauliche Veränderung weit über 400, kurz vor den Deportationen über 500 Patienten beherbergen. Sie wurden von Vonbun und Gassner, zeitweilig zusätzlich von Längle und Steiner betreut. In der Anstalt wohnte aber nur Vonbun.
Sowohl noch während des Krieges wie auch bei seinen Einvernahmen durch die Staatsanwaltschaft Konstanz ab 1961 (22) hat sich Vonbun immer wieder als ambitionierten Psychiater dargestellt, bemüht, die Anstalt autonom zu machen, die Qualifikation des Personals zu verbessern und die Situation der Kranken zu erleichtern. Er habe die Anstalt in einem schlechten Zustand übernommen und sich in der Folge um Verbesserungen gekümmert. Dazu gehörte auch ein Kurs für die Pfleger und die geistlichen Schwestern, der mit einer Abschlußprüfung beim Amtsarzt des Bezirks Feldkirch, Ludwig Müller, einen quasi offiziellen Charakter hätte erhalten sollen.
Vonbun fühlte sich in seinen Bestrebungen sabotiert, und zwar von seinen vorgesetzten Stellen, insbesondere vom Referenten für das Anstaltswesen Toni Kalb, später auch von Dr. Hans Czermak, vom Verwalter Hugo Madiener und vor allem vom nichtgeistlichen Pflegepersonal. Die geistlichen Pflegerinnen vom Orden der Barmherzigen Schwestern hingegen lobte Vonbun. Die Oberpflegerin bescheinigte ihrerseits dem Direktor ein korrektes Verhältnis zu den Ordensschwestern und ihren religiösen Wünschen - eine Protokollierung ihrer Aussage über die Deportationen wünschte diese Ordensfrau nicht, um Dr. Vonbun keine Schwierigkeiten zu machen (23).
Es ist möglich, daß die im folgenden zu schildernden Mißhandlungen von Pfleglingen auf das Konto von Personen gehen, deren Anstellung in der Anstalt gegen den Willen Vonbuns erfolgt war und die ihren Job lediglich als Pfründe und als Entgelt ihrer Verdienste um die "Bewegung" betrachteten.
Vonbun zeigte am 29. Dezember 1939 den Pfleger Johann Dietrich, einen im Februar desselben Jahres eingestellten ehemaligen SA-Mann aus Rankweil, bei der Landeshauptmannschaft und gleichzeitig bei der Staatsanwaltschaft Feldkirch an. Dietrich hatte mehrfach Patienten mißhandelt und im Dezember 1939 einen Pflegling derart verbrüht, daß er einige Tage später starb. Zwei weitere von Dietrich mißhandelte Patienten starben bis zum März 1940 ebenfalls (an Lungenlähmung bzw. Altersschwäche). Die Verbrühungen waren zunächst nicht bemerkt worden, was letale Konsequenzen hatte. Dietrich hatte vorher mehrfach gesagt, er werde schon dafür sorgen, daß es Platz gebe. Die Ermittlungen der Staatsanwaltschaft endeten wegen des Todes von Johann Dietrich (24).
In den ersten Monaten des Jahres 1941, also kurz vor den Deportationen, kam es zu erzwungenen sexuellen Kontakten zwischen zwei Pflegern und Patientinnen der Anstalt. Die Pfleger wurden am 16. Juni 1943 vom Landgericht Feldkirch zu zwei Jahren bzw. vier Monaten Gefängnis verurteilt. Gegen Vonbun wurde von beinahe allen Beteiligten der Vorwurf erhoben, er sei den Berichten des Personals und der Patienten über diese Vorfälle seinerzeit nicht nachgegangen und habe sie bagatellisiert (25).
Es ist eindeutig, daß die Zustände in der vereinigten Anstalt, besonders seit dem Bekanntwerden ihrer Auflösung, unhaltbar wurden. Ob Vonbun die Lage lediglich nicht mehr unter Kontrolle hatte oder ob er den Verfall der Anstalt und die Übergriffe des Personals deckte, ist nicht mehr eindeutig zu klären. Vieles spricht jedoch dafür, daß Vonbun im Rahmen der unheilvollen Dialektik zwischen Tötung der Unheilbaren und verstärktem Bemühen um die Heilbaren ein gewisser therapeutischer Idealismus und ein Interesse an der Aufrechterhaltung seines Postens nicht abgesprochen werden kann.
10. Die Deportationen im Rahmen der "Aktion T 4" in Tirol und Vorarlberg
10.1. Die Meldebögen
Vergegenwärtigen wir uns noch einmal, wie die "Euthanasie" an Erwachsenen (26) organisatorisch durchgeführt wurde. Eine Behörde im Graubereich zwischen staatlicher und parteieigener Bürokratie mit geheimgehaltenem Sitz (Tiergartenstraße 4) und geteilter Zugehörigkeit zur Kanzlei des Führers und zum Innenministerium trat nach außen in den folgenden Formationen auf:
- Gutachtenden Psychiatern mit zum Teil gutem Ruf gegenüber durch Einladungen zu Besprechungen, deren Zweck die Kooptierung in den Kreis der Gutachter war. Die Gutachtertätigkeit war eine rein freiwillige; Rücktritte auch nach einer solchen Einladung waren ohne Konsequenzen möglich, wie der Fall des Ordinarius für Psychiatrie Gottfried Ewald (27) beweist.
- Unter Tarnbezeichnungen wie "Reichsarbeitsgemeinschaft Heil- und Pflegeanstalten" (RAG), "Gemeinnützige Krankentransportgesellschaft" (GEKRAT), "Gemeinnützige Stiftung für Anstaltspflege", "Zentralverrechnungsstelle Heil- und Pflegeanstalten" konnte die Zentrale sich gegenüber Anstaltsleitern und untergeord neten Ämtern im Gesundheitsapparat tarnen.
- Es war der "T 4" möglich, über Dienststellen des Innenministe riums/Gesundheitsabteilung aktiv zu werden, zum Beispiel bei der Erhebung der Anstaltspopulation durch die Meldebögen.
- Es ist möglich, ja wahrscheinlich, daß einzelne Gutachter und andere in die Morde Eingeweihte ihrerseits Informationen über die Aktion weitergaben, um die Durchführung zu erleichtern. Hans Czermak hob seine Bekanntschaft mit dem Gutachter Friedrich Mennecke hervor, die bereits anläßlich der Ausbildung zum Amtsarzt in Wiesbaden geschlossen wurde. Czermaks Briefwechsel mit Lonauer zeigt, daß er über Details der Aktion informiert war.
Die Erfassung der Bewohner der Anstalten begann mit einem Erlaß vom 21. September 1939 an die außerpreußischen (in Preußen war die Erfassung bereits früher erfolgt) Landesbehörden, mit dem ein Verzeichnis aller öffentlichen, gemeinnützigen, caritativen und privaten Heil- und Pflegeanstalten, Siechenheime und Sanatorien, in denen "Schwachsinnige", Epileptiker, Geisteskranke... verwahrt waren, bis zum 15. Oktober 1939 angefordert wurde (28). Unmittelbar darauf, nämlich durch einen Runderlaß vom 9. Oktober 1939, erfolgte die Aussendung der Meldebögen an die Anstalten (29). Die ausgefüllten Meldebögen gingen ans Innenministerium zurück und erst von dort per Sonderkurier an die "T 4", die sie von Gutachtern "bearbeiten" ließ und zur Grundlage der Deportationen machte. Weil die Meldungen in vielen Anstalten gebremst oder hintertrieben wurden, machten sich Kommissionen aus Gutachtern auf den Weg in die Anstalten und selektierten an Ort und Stelle. Wie aus einer Aussage von Dr. Georg Renno in Frankfurt im November 1961 hervorgeht (30), unternahmen Renno und Lonauer solche "Dienstreisen" mit den Kopien der begutachteten Meldebögen, u.a. nach Innsbruck, Valduna und in eine Reihe anderer österreichischer Anstalten. Renno hat zusätzlich in einer Reihe kleinerer Anstalten selbst und ohne Begleitung eines anderen Arztes selektiert.
Es ist nicht klar, welche Anstalten im Bereich des Gaues solche Meldebögen erhalten und ausgefüllt haben. Sicher geschah dies in Valduna, in Mils (31), in der Pflegeanstalt Oberlochau (32), wahrscheinlich auch in anderen Anstalten, die sich im Besitz von Orden befanden. Höchstwahrscheinlich haben die gemeindeeigenen Versorgungshäuser keine solchen Meldebögen ausfüllen müssen.
In der "Landesirrenanstalt" für Tirol in Solbad Hall sind wahrscheinlich keine Meldebögen ausgefüllt worden. Stattdessen hat der bereits erwähnte "T4"-Gutachter Friedrich Mennecke mit angeblichen Studenten (vielleicht anderen "T 4"-Gutachtern) dort im September 1940 die Krankengeschichten durchgesehen und viele mitgenommen. Der Vorgang dauerte mehrere Tage (33). Mennecke schrieb darüber an den ihm bekannten Direktor Stoeckle, dessen Anstalt Lohr/Main er kurz zuvor selektiert hatte:
"Den Abschluß unserer Arbeitstournee bildete Anfang September die Anstalt Hall in Tirol. Wir haben auf unserer Reise viel gesehen und erlebt und behalten schönste Erinnerungen an die einzelnen Stationen, von denen Lohr (am Main, GE) und Hall an erster Stelle stehen..." (34)
Abgesehen davon, daß Mennecke mit solchen Selektionsreisen wahrscheinlich eine Vereinfachung seiner Tätigkeit als Gutachter für die "T 4" betrieb, dürfte sein Auftauchen mit seiner Bekanntschaft mit Czermak zusammenhängen, von dem er auch in der Anstalt bekanntgemacht wurde.
10.2. Der Beginn der Deportationen
Die "Verlegungen" der Insassen der Landesirrenanstalten des ehemaligen Österreich begannen im April 1940. Ihr Tempo war offensichtlich von der Kapazität der Vergasungsanstalt in Hartheim abhängig. Die Transporte aus den größeren Anstalten wurden offenbar von Renno oder Lonauer persönlich überwacht. Renno tauchte jedenfalls im Dezember 1940 in Innsbruck auf. Ernst Klebelsberg, der Leiter der Anstalt in Hall, hat Renno darauf aufmerksam gemacht, daß unter den zur Deportation vorgesehenen Patienten viele arbeitsfähig und nicht unheilbar krank waren. Nach einer Intervention Klebeisbergs und Dr. Helmut Scharfetters (des Leiters der Innsbrucker Klinik für Psychiatrie und Neurologie) bei Czermak und Gauleiter Hofer wurden (zunächst) 140 Patienten von der Deportation zurückgestellt (35).
Mit dem ersten Transport kamen am 10. Dezember 1940 66 Personen aus Hall und 54 Personen aus Mils über Niedernhart nach Hartheim, wo sie vergast wurden. Dieser Deportation war eine Korrespondenz Czermaks mit Lonauer vorausgegangen. Lonauer hatte vorher offensichtlich persönlich mit Czermak Kontakt aufgenommen und mit ihm vereinbart, daß die "Reichsarbeitsgemeinschaft Heil- und Pflegeanstalten" die Fürsorgepflicht über die deportierten Patienten vom Datum ihrer Ankunft in Niedernhart an übernehmen sollte - eine Voraussetzung für den Betrug an den Kostenträgern, die bis zu einem fiktiven Todesdatum Beiträge an die RAG zu zahlen hatten. Für Czermak bedeutete diese Übereinkunft, daß er die Verpflegsakten der Pfleglinge abzuschließen hatte und nur noch für die Transportkosten aufkommen mußte. Diese mündliche Vereinbarung wurde in einem Schreiben Lonauers an Czermak vom 20. Oktober 1940 schriftlich fixiert (36).
Czermak wandte sich nun, offenbar über Lonauer, an die "Gemeinnützige Krankentransportgesellschaft" (GEKRAT), um die Deportation der Pflegebefohlenen terminlich zu fixieren. Er beschwerte sich über die Nichteinhaltung eines in Aussicht gestellten Termines im November 1940.
"Durch meine Vorbereitungen für die dringend notwendige andere Verwendung der Anstalt und aus sonst mir nicht ersichtlichen Gründen ist bereits eine außerordentliche Unruhe in die Bevölkerung getragen worden", schrieb Czermak am 27.11.1940 nach Berlin, "und ich bitte Sie auch aus diesen Gründen, die beabsichtigten Transporte doch sobald als irgend möglich durchzuführen..." (37)
Czermak erhielt am 2. Dezember 1940 ein Antwortschreiben von der Tarnorganisation GEKRAT, das die "Verlegungen" für Anfang Jänner in Aussicht stellte (38). Der beschriebene erste Transport aus Hall und Mils scheint eine Folge weiterer, allerdings nicht überlieferter Interventionen Czermaks gewesen zu sein.
Aus den geschilderten Umständen sind wohl zwei Folgerungen möglich:
- Der Leiter des Gesundheitsamtes des Gaus Tirol-Vorarlberg war von Anfang an, wahrscheinlich in vollem Umfang, über die Deportationen und ihren Zweck informiert, beteiligte sich aktiv an ihrer Durchführung und ermöglichte Renno und Lonauer Auftritte in Hall. Diese Zusammenarbeit Czermaks mit den "Euthanasie"-Ärz-ten Lonauer, Renno und Mennecke führte nach dem offiziellen Stopp der "Euthanasie" zu Plänen, in Hall Tötungen an Patienten durchzuführen (39).
- Czermak nutzte die Deportationen zur Erstellung eines neuen Konzepts über Krankenanstalten in Tirol und Vorarlberg. Dabei spielten offenbar eine oder mehrere Heilstätten für Tuberkulöse eine große Rolle. Im Rahmen dieses Konzepts hat das Gesundheitsamt des Gaues seinerseits Verlegungen von Patienten durchgeführt, beispielsweise von Valduna nach Hall. Die Pläne des Gesundheitsamtes scheinen allerdings den Bedarf der Wehrmacht nach Krankenbetten nicht einkalkuliert zu haben.
10.3. Weitere Deportationen aus Tirol
Nach einer Mitteilung Lonauers an Czermak wurden bis zum 4. April 1941 in folgenden Transporten insgesamt 558 Personen deportiert (40):
10.12.1940 |
Hall |
66 |
10.12.1940 |
Mils |
54 |
11.12.1940 |
Hall |
113 |
11.12.1940 |
Mils |
12 |
11.2.1941 |
Valduna |
132 |
18.3.1941 |
Valduna |
88 |
21.3.1941 |
Hall |
60 (41) |
21.3.1941 |
Nassereith |
20 |
21.3.1941 |
Valduna |
1 (42) |
21.3.1941 |
Imst |
12 |
27 Menschen wurden am 29. Mai 1941 aus Hall weggebracht, 22 davon waren kurz zuvor aus dem Versorgungshaus in Ried dorthin überstellt worden. Weitere 60 Menschen wurden am 31. August 1942, fast ein Jahr nach dem angeblichen Ende der "Euthanasie", aus Hall abgeholt; 32 davon waren kurz vorher aus Valduna überstellt worden. 60 Kinder aus der sogenannten "Idiotenanstalt" Mariathal bei Kramsach sind am 23. Mai 1941 nach Niedernhart gebracht worden (43).
Dies ergibt eine Zahl von 439 Menschen, die aus verschiedenen Anstalten in Tirol abgeholt, nach Niedernhart gebracht und in Schloß Hartheim vergast worden sind. Die vom Dokumentationsarchiv veröffentlichte Liste der "Euthanasie"-Opfer Tirols nennt hingegen nur 356 Namen, davon 32 von Vorarlbergern (44). Die Gesamtzahl der "Euthanasie"- Opfer Tirols ist somit alles andere als klar. Nach dem Abschlußbericht der Bundespolizeidirektion Innsbruck vom 27. Dezember 1946, der meist zitiert wird (45), sind 706 Personen aus dem Gau deportiert worden, davon 220 direkt aus Valduna und (mindestens) 32 aus Valduna über Hall, also 454 aus Tirol.
Ursprünglich hätten die Deportationen neben Hall, Mils, Imst, Nassereith, Ried, Mariathal und Valduna noch drei städtische Versorgungshäuser in Innsbruck erfassen sollen, und allein 379 Patienten aus Hall waren zur Vergasung vorgesehen (46). Die Anstaltskanzlei hatte aber nur 207 deportierte Patienten erfaßt. Vorliegende Rechnung allerdings ergibt 272 Patienten, mindestens aber 261, wenn die Angaben Klebelsbergs über den Transport vom 21. März 1941 richtig sind. Demnach hätte Klebelsberg etwa 110 Patienten zurückhalten können; auch in Mils waren 55 Personen gerettet (47) und in Ried vier Frauen, davon zwei italienische Ordensschwestern, auf Intervention Klebelsbergs von der Transportliste gestrichen worden (48). Das städtische Siechenhaus in Innsbruck hat trotz einer persönlichen Intervention Rennos drei angeforderte Pfleglinge nicht hergegeben (49).
Zusammenfassend läßt sich sagen, daß die "Euthanasie"-Organisato-ren der "T 4" für Österreich, Lonauer und Renno, trotz massiver Unterstützung Czermaks und seines Amtes ihre Ziele in Tirol nicht vollständig erreichen konnten. Dies beweist, daß die Lonauer und Renno, wenn sie auf hinhaltenden Widerstand, teilweise Verweigerung wie bei Klebelsberg stießen, durchaus mit sich reden ließen. Allerdings war dies offensichtlich nur mit der Argumentation möglich, daß die angeforderten Kranken als Arbeitskräfte nötig seien. Klebelsbergs Widerstand gegen die Deportationen bewegten sich auf dieser Linie. Er verpflichtete sich anläßlich einer Vorsprache bei Gauleiter Hofer (ebenso wie auch der ebenfalls anwesende Gauhauptmann Gustav Linert) per Eid "in dem Sinne, daß wir von der ganzen Angelegenheit nichts wissen und zu schweigen haben. Ich wußte offiziell tatsächlich nichts und konnte den Eid auch ruhig ablegen" (50). Die Mörder der "T 4" hatten also durchaus in den Reihen der nationalsozialistischen Bürokratie, auch der Psychiater, mit Verweigerung zu rechnen und hatten in einem solchen Falle keineswegs, wie immer wieder behauptet wird, die Möglichkeit, solche Verweigerer mit staatlicher oder parteiamtlicher Verfolgung zu bedrohen.
Die Argumentation Klebelsbergs und vieler anderer barg allerdings eine große Gefahr: Ihrem Charakter nach war sie ein Handel um arbeitsfähige Patienten auf Kosten der unheilbar kranken und arbeitsunfähigen, bedeutete also implizit eine Anerkennung der "Euthanasie". Dies gilt auch dann, wenn aus humanen Motiven arbeitsunfähige Patienten als arbeitsfähig bezeichnet wurden, wie das Klebelsberg für sich in Anspruch genommen hat. Die Chance auf eine Rettung hing nicht nur vom Grad der Heilbarkeit und Arbeitsfähigkeit, sondern auch von der sozialen Zugehörigkeit des Patienten, genauer gesagt der Interventionsfähigkeit der Verwandten bei Klebelsberg und der Akzeptanz beim (zumeist geistlichen) Pflegepersonal ab. Es ist bisher auch ungeklärt und wegen der Archivsperre auch bis auf weiteres nicht eruierbar, wieviel Klebelsberg, durch seinen Eid gebunden, von den weitreichenden "Euthanasie"-Plänen Lonauers und Czermaks wußte (51).
10.4. Die Transporte aus Valduna
Die vereinigte "Heil- und Pflegeanstalt" Valduna mit etwa 530 Pfleglingen unterstand ab der Klärung der Zuständigkeiten im Zusammenhang mit der Auflösung des Gaues Vorarlberg dem Amt für Volksfürsorge bei der Gauselbstverwaltung. Dort scheint die Umwidmung der Anstalt in eine Aufbewahrungsstätte für Tuberkulöse bald beschlossene Sache gewesen zu sein. Entsprechende Quellen fehlen allerdings; Johann Müller berichtet von einem Besuch Czermaks mit dem Leiter der Tuberkuloseheilstätte Gaisbühel, Dr. Fritz Schienle (52), in Valduna. Der Besuch habe den Zweck gehabt, die Unterbringung unheilbar Lungenkranker zu sondieren (53). Aus dem Plan wurde allerdings nichts, weil Valduna von der Wehrmacht als Lazarett requiriert wurde (54). Es blieb aber bei der fast vollständigen Auflösung der Anstalt. Daher hat es drei unterschiedliche Formen der Deportation von Patienten aus Valduna gegeben:
- Schweizer Patienten, 129 aus der ehemaligen "Wohltätigkeitsanstalt" und 16 aus der "Landesirrenanstalt", wurden in Oberriet an die Grenze gestellt und dort von Angehörigen oder Fürsorgebeamten abgeholt; der Vorgang war am 29. Mai 1941 abgeschlossen (55).
- Im Rahmen der Auflösung der Anstalt und zur Tarnung der Tötungen erfolgten drei Transporte von Patienten nach Hall.
- In zwei Transporten wurden Patienten direkt nach Niedernhart gebracht und in Hartheim getötet.
Die Deportationen nach Niedernhart und Hartheim
Auch für Valduna war die Ansprechstelle der Tarnorganisationen der "T 4" zunächst Dr. Hans Czermak. Dies beweist ein Brief der "Gemeinnützigen Krankentransportgesellschaft" (GEKRAT) vom 6.11.1940 an ihn. Zu diesem Zeitpunkt waren die Meldebögen ausgefüllt und wahrscheinlich "begutachtet" worden, sodaß die Transportlisten zusammengestellt hatten werden können. Die "Gemeinnützige Krankentransportgesellschaft" (GEKRAT) schlug Czermak vor, Hall als Zwischenanstalt für die Deportationen aus Valduna fungieren zu lassen, weil "eine direkte Räumung der Anstalt Valduna in Rankweil aus Tarnungsgründen nicht möglich ist" (56). Dieser Vorschlag scheint Czermak nicht recht gewesen zu sein; er versah den Brief mit der handschriftlichen Bemerkung "Unsinn" (57). Als Folge dieser Einschätzung muß das Konzept der Deportationen geändert worden sein.
Im Ermittlungsverfahren gegen Dr. Josef Vonbun konnte nicht geklärt werden, wann Renno erstmals in Valduna war. Vonbun bestand darauf, daß dieser erste Besuch bereits im Sommer 1940 stattgefunden habe (58). Renno gab an, erst nach seinem Auftreten in Hall von Czermak nach Valduna begleitet worden zu sein (59). Wesentlicher scheint mir, daß weder Vonbun noch Renno bestritten, daß zu diesem Anlaß Vonbun über Details der "Vernichtung lebensunwerten Lebens" informiert wurde. Vonbun behauptete natürlich, massiv bedroht worden zu sein, Renno hatte hingegen Vonbun als kooperativen Direktor kennengelernt, der sich sogar für die Durchführung der "Euthanasie" in der Schweiz nach deren Eroberung angedient hatte (60).
Es ist mehr als wahrscheinlich, daß Vonbun tatsächlich "kooperativ" war und seine Mitarbeit bei der Deportation der Patienten in Aussicht gestellt hat.
Renno kam ein zweites Mal nach Valduna, als die Transportlisten fertig waren und die Deportationen unmittelbar bevorstanden. Es deutet alles darauf hin, daß Vonbun keinen Versuch unternommen hat, Patienten von den Transporten zurückzustellen.
Am 10. Februar 1941 erfolgte die erste Deportation von 57 Männern und 75 Frauen, zusammen also 132 Personen. Die Diagnosen auf der Transportliste lauteten auf Schizophrenie, progressive Paralyse, Epilepsie und angeborenen Schwachsinn. Die deportierten Patienten waren alle bereits vor längerer Zeit nach Valduna gekommen. Keiner von ihnen ist zurückgekehrt. Die Deportation erfolgte mit Bussen der Reichspost bis zum Bahnhof Feldkirch, dort wurden die Kranken von Personal der Zwischenanstalt Niedernhart übernommen, per Bahn nach Linz gebracht und wahrscheinlich sehr bald in Hartheim vergast.
Den frei gewordenen Raum in der Anstalt hat Vonbun zur Aufnahme von Pfleglingen aus Versorgungs- und Armenhäusern genutzt (61). Sie wurden kurz darauf ebenfalls weggebracht.
Nachdem am 8. März 1941 123 Patienten nach Hall gebracht worden waren, erfolgte am 17. März 1941 die zweite Deportation von 38 Männern und 50 Frauen, also 88 Menschen, nach Niedernhart. Dieser Transport, der unter denselben Umständen erfolgte wie der erste, hat in der Bevölkerung einigen Unmut hervorgerufen und eine Intervention Dr. Ludwig Müllers bei der Gauleitung bewirkt (62).
Von diesem Transport wurde ein angeblich psychopathischer Krimineller, der am 11. Mai 1939 vom Gefangenenhaus Feldkirch nach Valduna gebracht worden war, zurückgestellt (63). Möglicherweise fiel er aus formalen oder Zuständigkeitsgründen nicht unter die "Aktion T 4", weil er eine Strafe abzubüßen hatte oder unter die Verfügung der Gestapo hätte kommen sollen. Auf keinen Fall ist seine Zurückstellung als Hinweis darauf zu sehen, daß einmal deportierte Patienten in Niedernhart oder Hartheim noch einmal untersucht wurden.
Bei der Verständigung der Verwandten schien bei den 219 Opfern dieser beiden Transporte nicht immer Hartheim als Ort des angeblich natürlichen Todes auf. Das Standesamt in Schloß Hartheim teilte aus Tarnungsgründen mehreren Hinterbliebenen mit, ihre Verwandten seien in Hadamar, Bernburg/Saale oder Sonnenstein/Pirna gestorben. Dies entsprach jedoch in keinem Fall der Wahrheit (64).
"Patientenverlegungen" nach Hall
In drei Transporten, am 8. März 1941, am 27. März 1941 und am 13. Mai 1941 wurden insgesamt 227 Menschen, 121 Männer und 106 Frauen, nach Hall deportiert (65). Wenigstens in einem Teil der Fälle hat es sich um eine getarnte Weiterdeportation nach Niedernhart und Hartheim gehandelt. So waren unter den am 21. März 1941 von Hall abtransportierten 60 Patienten nach Aussage Klebelsbergs elf aus Valduna, die unmittelbar vorher, am 8. März, erst nach Hall gebracht worden waren. Während bei fast allen Transporten Frauen überwogen, handelte es sich bei diesen elf Personen ausschließlich um Männer.
Weitere 32 nach Hall verbrachte ehemalige Patienten aus Valduna, 22 Männer und zehn Frauen, wurden am 31. August 1942 nach Niedernhart deportiert und höchstwahrscheinlich in Hartheim vergast. Bei diesem Transport waren zusätzlich noch mindestens eine Frau, nach anderen Berechnungen vier aus Vorarlberg stammende Patienten der "Irrenanstalt" in Hall (66).
Weiters wurden Südtiroler Patienten, die von Valduna nach Hall gekommen waren, nach Schussenried weiterdeportiert. Ihr späteres Schicksal ist unbekannt, wahrscheinlich sind die meisten von ihnen getötet worden (67).
So wurden 43 der nach Hall deportierten ehemaligen Pfleglinge aus Valduna in Hartheim vergast. Es ist wahrscheinlich, daß sie aufgrund einiger unvorsichtiger Äußerungen Dr. Gassners noch in Valduna über ihr Schicksal Bescheid wußten. Als die nach Hall verlegten Patienten von ihrer bevorstehenden weiteren Deportation nach Hartheim erfuhren, hätten sich furchtbare Szenen abgespielt (68).
11. "Wir machen eine Fahrt ins Blaue" - Der Zugriff auf die
Armenhäuser
Bereits am 1. März 1946 hat der Amtsarzt des Bezirkes (in nationalsozialistischer Zeit Kreises) Feldkirch die Vorarlberger Landeshauptmannschaft auf die Rolle Vonbuns bei der Einweisung angeblich geisteskranker, schwachsinniger oder behinderter Insassen von Versorgungshäusern nach Valduna und bei ihrer späteren Deportation aufmerksam gemacht (69).
Tatsächlich wurden ab dem Sommer 1939 aus dem Kreis Bludenz 27, aus dem Kreis Bregenz 52 und aus dem Bezirk Feldkirch acht Insassen von Versorgungshäusern und Pflegeheimen nach Valduna gebracht. Die überwiegende Mehrheit von ihnen war im Februar und März 1941 in Gruppen dorthin verlegt worden.
Die umfangreichen und sorgfältigen Ermittlungen der Staatsanwaltschaft Konstanz, unterstützt von der Kriminalabteilung für Vorarlberg, erlauben eine relativ genaue Rekonstruktion des Vorganges.
Vonbun hat sich, entweder auf eigene Initiative durch seinen Kontakt zu Renno oder auf Veranlassung Czermaks, an die Amtsärzte als Leiter der Gesundheitsabteilungen der Kreise gewandt und diesen mitgeteilt, er habe vor, die Insassen verschiedener Armenhäuser zu untersuchen und Kranke unter ihnen nach Valduna einweisen zu lassen.
Dr. Theodor Leubner, Amtsarzt des Kreises Bregenz, und Dr. Karl Brutmann, Amtsarzt des Kreises Bludenz, waren bei den Untersuchungen anwesend. Dies war nötig, weil die Einweisungen in eine "Irrenanstalt" über sie zu erfolgen hatten. Die Untersuchungen erfolgten summarisch in der Form sogenannter Intelligenzprüfungen.
Nach der Aussage der Schwester Tolentina vom Orden der Barmherzigen Schwestern in Zams, Oberin im Versorgungshaus in Bartholomäberg, brauchten Vonbun und Brutmann dort ungefähr eine Stunde, um 40 Insassen zu untersuchen. Es wurde offenbar an Ort und Stelle entschieden, wer wegkommen sollte. Es waren dies 13 Personen, vier Frauen und neun Männer. Sie wurden am 3. März 1941 in einem Bus abgeholt, in dem sich bereits Pfleglinge anderer Armenhäuser des Kreises Bludenz befanden (70). Schwester Tolentina bemühte sich in der Folge persönlich in Innsbruck und Hall, Pfleglinge zurückzubekommen - in sechs Fällen mit Erfolg; im Falle einer - übrigens gar nicht auf den Listen geführten -Frau kam sie zu spät, man hatte sie bereits nach Niedernhart deportiert (71).
In Nenzing scheint Vonbun allein aufgetreten zu sein. Nach Aussage einer Frau, die als Küchenhilfe des Armenhauses fungierte, wo sie 1929 wegen eines Augenleidens aufgenommen worden war, spielte sich die Sache wie folgt ab:
"Die damalige Schwester Oberin hat uns gesagt, daß er Vonbun heiße und in der Valduna Direktor sei. Mich hat er gefragt, wann ich geboren sei, was ich arbeiten würde und sonst einige belanglose Fragen ...Einige Tage später wurde ich mit fünf weiteren Pfleglingen des hiesigen Versorgungsheimes in einem Omnibus in die Valduna gebracht. Beim Abholen erklärte man uns, wir würden zum Untersuchen nach Feldkirch gebracht. Tatsächlich wurden wir jedoch in die Valduna überführt. Auch dort wurden wir nicht untersucht. Zirka sechs Wochen später kamen wir über Vorsprache des damaligen Verwalters Wendelin Maier wieder ins Armenhaus zurück..." (72)
Dies traf jedoch nur auf vier offenbar arbeitsfähige Insassen zu, zwei mußten in Valduna bleiben, eine Frau wurde in Hartheim vergast.
Im Bezirk Bregenz besuchte Vonbun die Armenhäuser in Egg, Langenegg, Lingenau, Hittisau, Andelsbuch und Schwarzenberg (73); die Insassen der Versorgungsheime von Alberschwende, Bildstein, Höchst, Oberlochau wurden, wohl nach vorheriger Untersuchung an Ort und Stelle, ins Gesundheitsamt nach Bregenz bestellt und von dort nach Valduna gebracht. Die Umstände, unter denen das geschah, sind ähnlich. Ein Insasse des Armenhauses in Lingenau versteckte sich am Tag der Untersuchung, der Bürgermeister der Gemeinde veranlaßte seine Einweisung nachträglich. Andere, offenbar Arbeitsfähigere, hatten eine Chance, aus Valduna zu entkommen. Der Verwalter des Armenhauses von Andelsbuch erreichte, daß ein offenbar zur Arbeit tauglicher Pflegling aus Valduna zurückgeholt werden konnte. Dessen Bruder, weniger fleißig und renitenter, mußte bleiben und wurde vergast (74). Aus Andelsbuch wurden auch die Kinder des dorthin verlegten Marienheimes - einer Einrichtung für geistig behinderte Kinder in Bludenz (75) - erfaßt. Mindestens eines von ihnen ist getötet worden. Die Insassen der Heime wurden nicht informiert.
Eine Insassin des Versorgungsheimes Oberlochau hat das so erlebt:
"Während der Arbeit kam plötzlich eine Schwester auf mich zu und sagte, ich solle mich umziehen und zum Arzt gehen. Mir schien dies glaubhaft, weil der der inzwischen verstorbene Gemeindearzt von Lochau ...jeden zweiten Tag im Haus ordinierte. Ich begab mich zum Eingang und erkundigte mich nach dem Arzt. Die von mir befragten Herrn, der Sanitäter Schneeweiss und ein zweiter Herr, den ich namentlich nicht kenne, erklärten mir, es sei kein Arzt hier und ich solle einsteigen. Ich war die letzte, die den Omnibus bestieg. Während der Fahrt stellten wir dem Begleitpersonal die Frage, wohin wir kommen würden. Sie gaben uns zur Antwort 'Wir machen eine Fahrt ins Blaue'. In der Valduna dürften wir gegen 17 Uhr angekommen sein..." (76)
Auch von den aus Oberlochau weggebrachten 24 Pfleglingen konnten fünf nach Intervention beim Gesundheitsamt zurückgeholt werden.
Insgesamt sind ab dem Juli 1939 ungefähr 100 Bewohner von Versorgungshäusern und Pflegeheimen nach Valduna gebracht worden, bis auf 14 alle im Februar und März 1941. 88 von ihnen wurden deportiert, 29 nach Hartheim. Überlebt haben die Aktion neben jenen, die von Verwaltern und Bürgermeistern noch in Valduna losgeeist wurden, gerade 27 Personen.
Die Deportation der Pflegebefohlenen der Vorarlberger Gemeinden -in deren Besitz ja die meisten der erwähnten Armen- und Versorgungshäuser waren - scheint nach dem derzeitigen Stand der Forschungen in dieser Dichte im Reich einmalig gewesen zu sein.
Es kann nicht den Schatten eines Zweifels daran geben, daß Dr. Vonbun aus eigener Initiative, ohne Befehl und ohne sogenannten Befehlsnotstand Selektionen vorgenommen hat, zu denen er noch nicht einmal innerhalb des nationalsozialistischen Systems berechtigt war. Dies wiegt umso schwerer, als gerade die Insassen der Armenhäuser oft keineswegs geisteskrank, sondern nur behindert, taubstumm, blind oder einfach nur zurückgeblieben waren. Insofern ist die Entlastung Vonbuns durch den Einstellungsbeschluß des Oberstaatsanwalts Straub in Konstanz, daß er "bei diesem staatlich angeordneten und und bis in alle Einzelheiten geleiteten Massenverbrechen keine eigenen Entscheidungen über die Auswahl der zu tötenden Kranken zu treffen" gehabt habe, eine Farce (77). Diese Entlastung stand noch dazu in krassem Widerspruch zu den von Staatsanwalt v. Rinck 1963 angestellten Recherchen, auf die sich obige Darstellung weitgehend stützen konnte.
Allerdings ist die einseitige Belastung Vonbuns vor allem durch den Feldkircher Amtsarzt Müller und Dr. Gassner von den Tatsachen her kaum zu halten. Auf Gassner geht übrigens die oft zitierte, aber falsche Behauptung zurück, Vonbun habe die Insassen der Armenhäuser im eigenen Wagen abgeholt (78). Konnten sich die in Valduna angestellten Ärzte und Pfleger Vonbun nicht widersetzen, so war doch zur Durchführung der oben beschriebenen Verlegungen ein ganzer Apparat notwendig, demgegenüber Vonbun keine wie immer geartete Weisungsbefugnis hatte. Die Gesundheitsämter der Kreise waren in den Vorgang ebenso eingebunden wie das Rote Kreuz (dessen Fahrer die Pfleglinge abholten) und einige Bürgermeister und Verwalter. Bezeichnenderweise blieb aber die Frage der Mitverantwortung zum Beispiel der beiden Amtsärzte Brutmann und Leubner völlig offen, obwohl sie - höchstwahrscheinlich wissend um die tödliche Konsequenz - an den zynischen Selektionen teilgenommen hatten. Daß es möglich gewesen wäre, die Herausgabe von Schutzbefohlenen an eine Person ohne jede Befugnis zu verweigern, zeigen der Ablauf der "Euthanasie" in Tirol und die im folgenden Kapitel zu behandelnden Ereignisse.
Der Philipp F.
Isch im Armehus gsi, als ledigs, beschränkte Kind
is Armehus ko, isch ufgwachse und a großes Kind wore.
Er hot uf der Landwirtschaft schaffe müesse.
Der Philipp hot o am Suntag Blosbalg treata bei der Orgel,
hot Freuda ghet und ageabe noch der Kirche:
"Hüt hond mir a schäs Amt gorglet, i ho treate!"
Der Philipp isch a großes Kind blibe, hot zum Hus
und Dorf ghört. Der Pfarrer hot eam
Firmgöte gmacht und a Uhr gschenkt; mit der isch er
vor Freud vo Hus zu Hus grennt.
Mit Freuda, wias hüt ku Kind meh hot mit a-n-ar neue Uhr.
A uverdorbes, glücklichs großes Kind gsi, bis en Nazi
gholt hond und no meh vom Armehus ... as seien unnütze
Eassar...
"Schwachsinnige" hatten in der dörflichen Gemeinschaft durchaus Nischen, in denen sie leben konnten und auch gebraucht wurden. Viele Mitbürger empfanden ihre Deportation und Tötung als brutales Unrecht - so auch Josefine Pichler, die Autorin dieses Dialektgedichtes über einen in Hartheim vergasten Hörbranzer.
12. Die unterbliebene Deportation von Armenhausinsassen
im Bezirk Feldkirch
Daß aus dem Bezirk Feldkirch sehr wenige Armenhausinsassen (1939 vier, 1940 eine und 1941 drei Personen) nach Valduna eingewiesen und so der "Euthanasie" überantwortet wurden, ist im wesentlichen ein Verdienst des Feldkircher Amtsarztes Dr. Ludwig Müller. Dieser war seit 1929 im Amt; sein Verbleiben im Amt über den "Anschluß" hinaus ist nur zu erklären, wenn man eine partielle Übereinstimmung mit der nationalsozialistischen Gesundheitspolitik postuliert (79). Dr. Müller war kein Gegner, sondern allem Anschein nach ein energischer Befürworter der Sterilisierung aus rassehygienischen Gründen (80); in seine Zuständigkeit fiel auch die Erfassung der angeblich erblich belasteten Bevölkerungsteile.
Der genaue Ablauf der Ereignisse wird wegen starker Widersprüche in den Aussagen der verschiedenen Beteiligten kaum mehr zu rekonstruieren sein; der folgende Abriß ist ein Versuch, den wahrscheinlichsten Verlauf zu skizzieren.
Wie in den anderen Kreisen auch, scheint Vonbun an den Amtsarzt Müller mit dem Ersuchen herangetreten zu sein, bei der Untersuchung von Armenhausinsassen zu assistieren. Wahrscheinlich wegen der Opposition Müllers, der inzwischen von einem Studienkollegen, dessen psychisch kranke Frau mit dem ersten Transport nach Hartheim deportiert worden war (81), über das Ziel solcher Untersuchungen informiert war, übertrug man die geplanten Untersuchungen dem bereits erwähnten Dr. Hans Steiner (82). Dieser scheint tatsächlich einige Visiten in Armen- und Versorgungshäusern (83) gemacht zu haben, dabei aber wie sein Vorgesetzter Dr. Müller zu dem Ergebnis gekommen zu sein, daß keine zur Deportation geeignete "Fälle" vorlagen. Offenbar unabhängig von Steiner hatte jedoch Vonbun selbst mindestens in einem Armenhaus (jenem in Frastanz) die Insassen selbst selektiert (84). Aufgrund dieser Selektion wurden drei Insassen nach Valduna gebracht; der Bürgermeister hatte dies veranlaßt, weil er einen Wunsch Vonbuns als Befehl auffaßte und jedenfalls ausführte, obwohl Vonbun ihm gegenüber keinerlei Befugnisse hatte (85).
Nach seinen Aussagen schlug Müller, als er dies erfuhr, Alarm und wandte sich an seinen unmittelbaren Vorgesetzten, Landrat Hans-Werner Otto (86). Dieser informierte den Gauleiter Hofer, welcher Dr. Czermak am 13. März 1941 zu einer Besprechung im Feldkircher Kreisamt delegierte. Bei dieser Besprechung waren Czermak, Otto, Müller und Vonbun anwesend. Müller erhielt Gelegenheit, seine Weigerung mitzuteilen. Offensichtlich unterblieb die Einweisung von Armenhausinsassen aus dem Bezirk Feldkirch nach Valduna bis auf wenige Fälle (eine Frau aus Dornbirn und eine weitere aus Lustenau). Die drei aus dem Armenhaus in Frastanz Abgeholten durften dorthin zurückkehren. Ein neunzehnjähriger Frastanzer, angeblich angeboren schwachsinnig und taubstumm, war nach der Aussage des Frastanzer Bürgermeisters von Müller selbst psychiatriert worden. Er wurde, wahrscheinlich am 22. Februar 1941 über Valduna, nach Hall gebracht und von dort 1942 nach Hartheim deportiert und ermordet (87).
Die Besprechung am 13. März 1941 ist durch einen Brief Czermaks an den Landrat des Kreises Feldkirch, Hans-Werner Otto, vom 31.3.1941 belegt. Czermak verweist darin auf den erzielten Kompromiß "der Zurückstellung sowohl aus ärztlichen wie politischen Erwägungen im Sinne der Richtlinien der Aktion unter besonderer Beachtung der Verhältnisse im Grenzland Vorarlberg". Dazu sei es gekommen, weil die "ärztlichen Unterlagen der in Berlin erstellten Listen mangelhaft waren und in den speziell vorliegenden Fällen auch die Diagnosen Dr. Vonbuns den Richtlinien der Aktion nicht entsprachen" (88).
Nach diesem Brief, dessen Wahrheitsgehalt aufgrund seines Charakters als amtliche Mitteilung, seiner Datierung und der Umstände der Entstehung wohl kaum zu bezweifeln sein wird, hat sich Vonbun schriftlich bei Lonauer, dem Leiter der Tötungsanstalt in Hartheim und der Zwischenanstalt in Niedernhart, über die angebliche Sabotage Ottos und Müllers an der "Aktion" beschwert. Lonauer hat Czermak, zu dem er intensive Kontakte pflegte, das Schreiben zu lesen gegeben. Die Denunziation Vonbuns war auch in der Zentrale der "Euthanasie" bekanntgeworden, dies blieb aber ohne Folgen, weil Lonauer sich mit den Erklärungen Czermaks begnügte. Dieser forderte allerdings von Otto einen schriftlichen Bericht über den Vorfall und ärztliche Gutachten Müllers über die fraglichen Fälle (89).
Der Konflikt zeigt den bürokratischen Ablauf der "Vernichtung lebensunwerten Lebens" mit geradezu gespenstischer Deutlichkeit. Die Betreiber der Massenmordaktion mußten auf die Stimmung der Bevölkerung dann Rücksicht nehmen, wenn sie sich spontan artikulierte oder die Mitarbeit - zumindest Duldung - der Amtsärzte, Anstaltsleiter usw. in Frage stellte. In den Kreisen Bludenz und Bregenz scheint es keine Opposition der beteiligten Amtsärzte gegen die Deportationen gegeben zu haben. Hier hatte zwar der Hittisauer Pfarrer Josef Meusburger in seiner Chronik Proteste gegen die Deportation der Insassen des örtlichen Armenhauses verzeichnet und war selbst zu einer Geldstrafe verurteilt worden, "denn man hatte aus seinem Munde nur das Wort 'schrecklich' gehört" (90), aber die an den Deportationen beteiligten Ärzte, Pfleger, Schwestern, Beamten, Bürgermeister und Armenväter beschränkten sich auf einige Interventionen zur Rückholung besonders arbeitsfähiger Pfleglinge. Für den Bezirk Feldkirch konnte der Amtsarzt Dr. Ludwig Müller erreichen, daß nur besonders schwere Fälle weggebracht und getötet wurden. Die "Euthanasie"-Ärzte mußten ihre wahren Absichten selbst vor einem Teil der Bürokratie verheimlichen und zogen offenbar sofort zurück, wenn ihre selbst nach nationalsozialistischem Recht illegalen Praktiken Staub aufzuwirbeln drohten. Für diesen Fall hätten sie sich nicht auf die Duldung ihrer Aktivitäten durch das Regime berufen können, da diese ja nur in Form eines höchst zweifelhaften Führererlasses vorlag.
Ein Ausweg aus diesem Dilemma war prinzipiell in zwei Richtungen möglich, die beide eingeschlagen wurden. Man konnte die Proteste innerhalb der Bürokratie abfangen, indem man sie teilweise über die "Aktion" informierte und sie plausibel zu machen versuchte. Dies geschah im April 1941 auf einer Tagung für Oberlandesgerichtspräsidenten und Generalstaatsanwälte, die zu diesem Zeitpunkt voll in die "Aktion" eingeweiht wurden (91). Man konnte andererseits die Morde stoppen oder bremsen, wahrscheinlich mit der eindeutigen Absicht, die "Aktion" später wieder voll aufzunehmen und inzwischen in den einzelnen Anstalten zu töten. Nichts anderes war der sogenannte Stopp der "Aktion" im Herbst 1941.
Das Verhalten des Amtsarztes Dr. Ludwig Müller hat ohne Zweifel vielen Menschen das Leben gerettet. Dazu war gewiß Mut erforderlich, da die möglichen Konsequenzen einer solchen Verweigerung damals kaum bekannt sein konnten. Heute ist allerdings klar, daß die Verweigerungshaltung Müllers - und nicht nur seine - keine wie auch immer geartete Bestrafung oder auch nur berufliche Nachteile nach sich zog: Müller blieb Amtsarzt, sein Untergebener Dr. Hans Steiner erreichte diese Position noch nach den beschriebenen Ereignissen.
Müllers Protest gegen die "Euthanasie" war allerdings verbunden mit einer teilweisen Anerkennung der Zielsetzung nationalsozialistischer Gesundheitspolitik. Die Deportationen unterblieben nur unter der Annahme der Arbeitsfähigkeit der zu Deportierenden; diese hatte Müller in seiner gutachterlichen Tätigkeit in einer Vermischung von sozialer und medizinischer Diagnostik, wie sie für die nationalsozialistische Gesundheitspolitik überaus typisch ist, zu bescheinigen und im Falle eines Konfliktes zu verantworten. Daß er selbst offenbar wenigstens einen Schwachsinnigen im Februar 1941 nach Valduna bringen und viele andere sterilisieren lassen hat, darf aber nicht verschwiegen werden.
13. Tirol-Vorarlberg - ein "Mustergau" der "Euthanasie"?
13.1. Dr. Hans Czermak und die "Vernichtung lebensunwerten Lebens"
Der Leiter des Gaugesundheitsamtes für Tirol-Vorarlberg, Dr. Hans Czermak, war nicht nur, wie wir gesehen haben, einer der Hauptverantwortlichen für die massenhafte Tötung psychisch Kranker und Behinderter in dieser Region. Darüber hinaus dürfte er in die Aktivitäten der "Eu-thanasie"-Zentrale eingeweiht gewesen sein und das Vertrauen mehrerer Ärzte dieses Apparates genossen haben. Nach der Einstellung der Vergasungen von psychisch Kranken und Behinderten im Herbst 1941 dürfte Czermaks Bedeutung für die nunmehr dezentral durchgeführte Patiententötung gestiegen sein. Der Prozeß beim Volksgericht in Innsbruck 1948 und 1949 (92) hat diesem Aspekt der Tätigkeit Czermaks wenig Beachtung geliehen.
Die folgende Darstellung beruht auf dem Briefwechsel zwischen Lonauer und Czermak sowie auf anderen erhaltenen dienstlichen Schreiben Czermaks. Auch in der Korrespondenz des "Euthanasie"-Arztes und Gutachters Mennecke mit seiner Frau werden Czermak und die Anstalt Hall einige Male erwähnt.
Wahrscheinlich anläßlich des "Besuches" von Friedrich Mennecke in Innsbruck und Hall im September 1940, welcher der Selektion der Patienten diente (93), dürfte sich die bereits bestehende Bekanntschaft zwischen Mennecke und Czermak vertieft haben. Auch mit Lonauer unterhielt Czermak Kontakte und stand mit ihm immerhin so gut, daß er die schriftliche Denunziation Vonbuns mühelos neutralisieren konnte. Auch die Korrespondenz Czermaks mit der Tarnorganisation GEKRAT im November 1940 läßt vermuten, daß dieser mehr über die Organisation der Morde wußte als beipielsweise ein Anstaltsdirektor.
Lonauer teilte Czermak am 4. April 1941 die Zahl der bis dahin aus dem Gau deportierten Patienten mit (94) und schrieb ihm am 30. Juni 1941 einen Brief wegen aufgetretener Differenzen über die Verrechnung der Verpflegskosten für die (längst getöteten) Patienten (95). Eine Passage aus diesem Brief zeigt, wie die Beteiligten die Dinge beim Namen nannten, wenn sie unter sich waren: "Es ist mir unverständlich, daß Sie von Angehörigen Beitragsleistungen /für Patienten/ verlangen, welche von uns abgeholt wurden, da Sie doch wußten, daß alle durch uns geholten Patienten als verstorben zu behandeln sind..." (96)
Nach der erzwungenen Einstellung der Vergasung von Patienten in Hartheim und in anderen Tötungsanstalten im Herbst 1941, dem sogenannten "Euthanasie"-Stopp, ging man zur selektiven Tötung von Patienten in den Anstalten selbst über. Wenn auch bei dieser "wilden Euthanasie" dezentrale Entscheidungen von Anstalts- und Amtsärzten, Pflegern und Schwestern ungleich mehr Gewicht hatten als vorher und auch andere Entscheidungsträger, beispielsweise die Gauverwaltungen, vermehrt nach eigenem Gutdünken walten konnten, hat die Zentrale zur Vernichtung der psychisch Kranken ("T 4") trotzdem auch in dieser Zeit wesentliche Kompetenzen behalten. Man arbeitete dort zunächst an der Erstellung einer zentralen Datei aller Anstaltsinsassen, während die Meldebögen der "Aktion" ja nur die zur Tötung bestimmten erfaßt hatten (97). Es gibt einige Hinweise darauf, daß über die Abteilung IV des Innenministeriums versucht wurde, eine zentrale Steuerung des Vernichtungsvorganges und der gesamten Psychiatrie zu erhalten.
Auch in diesen Prozeß war Czermak eingebunden. Er leitete etwa als regional Zuständiger einen besorgten Erlaß an die Reichstatthalter und Landesregierungen vom 6. Jänner 1942 über den Rückgang der Einweisungen in "Irrenanstalten" und die zunehmende Entlassung von Patienten gegen Revers (98) an den Direktor der Anstalt in Hall, Klebeisberg, und an den Leiter der Innsbrucker Psychiatrischen Universitätsklinik, Dr. Helmut Scharfetter, weiter. Scharfetter bestätigte die Vorbehalte der Angehörigen gegen die "Irrenanstalt":
"Es ist sogar schon mehrmals vorgekommen, daß dieser Vorbehalt im ärztlichen Einweisungsschreiben ausgedrückt war. Allgemein verbreitet ist auch die Meinung, daß alte Leute die Verlegung in die Anstalt nicht lange überleben würden... Ernstliche Schwierigkeiten sind noch nie entstanden ... Es ist aber schon unerfreulich genug, daß durch solche Entlassung gesunde Familienmitglieder gebunden und mit einer Pflege belastet werden, die viel besser der Anstalt übertragen würde..." (99)
Klebelsberg wies auf die Überfüllung der Anstalt in Hall mit fast 700 Patienten hin (100). Czermak hat in einem Begleitschreiben zu diesen beiden Auskünften an die Abteilung IV des Innenministeriums unmißverständlich kundgetan, daß er in der Intervention der Angehörigen eine Gefahr für die "Vernichtung lebensunwerten Lebens" sah:
"Ich würde es daher sehr begrüßen, wenn in regelmäßigen Abständen immer wieder eine Sichtung der Anstaltsinsassen vorgenommen würde. Wenn nicht schwere unheilbare Kranke in Anstalten außerhalb des Gaus verlegt (nach Lage der Dinge konnte dies nur heißen: getötet, GE) werden, erreichen die Angehörigen in vielen Fällen doch einmal die Entlassung in die Häuslichkeit..." (101)
Die angesprochene Überfüllung der Anstalt in Hall hat offenbar Czermak dazu veranlaßt, trotz der offiziellen Einstellung der Deportationen einen Transport von Patienten nach Hartheim und damit in den sicheren Tod zu organisieren. Czermak an Lonauer am 3. Juli 1942:
"Die Heil- und Pflegeanstalt Hall ist nun glücklich so überfüllt, daß ich gezwungen bin, Pfleglinge wieder in den Altersheimen der Landkreise unterzubringen. Ein ganz außerordentlich beklagenswerter Zustand ..." (102)
Lonauer konnte Abhilfe schaffen: Am 31. August 1942 kamen, wie bereits beschrieben (103), 60 Patienten von Hall in die Zwischenanstalt Niedernhart und von dort nach aller Wahrscheinlichkeit nach Hartheim, wo zu diesem Zeitpunkt kranke und renitente KZ-Häftlinge im Rahmen der "Aktion 14 f 13" getötet wurden (104); oder man ließ die Kranken in Niedernhart gezielt durch Hunger und Luminal umkommen, um einen natürlichen Tod vorzutäuschen. Czermak beantragte nachträglich 150 Liter Benzin beim Landeswirtschaftsamt XVIII in Salzburg mit der Begründung, der Transport habe per Bus durchgeführt werden müssen, "um Aufsehen zu vermeiden" (105).
Lonauer bestätigte in einem Brief an Czermak, "mit den von Hall nach Niedernhart übernommenen Patienten ... keinerlei Schwierigkeiten" gehabt zu haben. Er sei zu der Überzeugung gekommen, "daß diese Behandlungsmethode praktischer und reibungsloser ist als die frühere" (106).
Czermak trat nun dafür ein, "diese Methode" in Hall selbst zu praktizieren, und zwar unter der Leitung Rennos. Damit, so meinte er, ließen sich "Transportkosten, vor allem der Kraftstoffaufwand, einsparen" (107).
Wohl kaum konnte Czermak die Einrichtung einer Vergasungsanstalt in Hall vorgeschlagen haben, wohl aber die Tötung von Patienten vor Ort. Er befand sich dabei in bemerkenswerter Übereinstimmung mit einem Runderlaß des Reichsinnenministeriums vom 4. April 1943, in dem die Länder- und Provinzialbehörden gebeten wurden, die bei der "Reichsarbeitsgemeinschaft" (RAG) beschäftigten Ärzte in ihren Bereichen in Heil- und Pflegeanstalten unterzubringen (108).
Friedrich Mennecke hat 1943 Paul Nitsche, dem faktischen Chef der "Euthanasie"-Ärzte, vorgeschlagen, in Tirol eine Anstalt einzurichten, die "sowohl in personeller wie auch in materieller Hinsicht die Möglichkeit bietet, insbesondere an frisch anfallenden Psychosen zielbewußte Therapie anzuwenden und durchzuführen" (109). Als Direktor hätte sich Mennecke seine eigene Wenigkeit vorgestellt; er verwies ausdrücklich auf seine diesbezügliche Korrespondenz mit Czermak (110), der zu diesem Zeitpunkt unzweifelhaft über Nitsche der Berliner Zentrale als kooperationswilliger Anstaltsleiter bekannt war (111).
Am 12. November 1942 hat die zuständige Abteilung im Innenministerium einen Erlaß herausgegeben, der die Meldung aller Patienten psychiatrischer Institutionen, die bis dahin noch nicht erfaßt worden waren, bis zum 1. Februar 1943 vorsah (112). In einem weiteren Runderlaß wurde die Vorgangsweise bei der geforderten Erfassung aller Patienten genau erklärt (113).
Czermak sah sich dadurch veranlaßt, seine Kompetenzen in Sachen Tötung Pflegebefohlener zu wahren. Er gab seinerseits einen Runderlaß heraus, dessen Verbreitung eindeutig die Zunahme jener Personengruppen belegt, für welche die zentrale Erfassung und im Falle ihrer Nutzlosigkeit für die "Volksgemeinschaft" die Tötung vorgesehen war. Er war nämlich nicht nur an die Direktion der "Irrenanstalt" Hall, sondern auch an das Innsbrucker Fürsorgeamt, an die Verwaltung der Heil- und Pflegeanstalt Valduna, an das St. Josef-Institut in Mils, an die Erziehungsanstalten Scharnitz und Marienheim Andelsbuch und an die Versorgungshäuser Nassereith, Imst und Ried adressiert. Czermak machte die genannten Anstalten darauf aufmerksam, daß die im Runderlaß geforderten Berichte ausschließlich über ihn zu gehen hätten (114).
Der geradezu groteske Vorschlag Czermaks vom April 1945 an den von den Sowjets bedrohten Lonauer - "Treten Sie 'inkognito' vorübergehend als 'Oberarzt' in unsere Heilanstalt Solbad Hall ein und organisieren Sie dort die Reduzierung des Patientenstandes, denn die Anstalt ist zum Bersten voll..." (115) - rundet ein Bild ab, das meines Erachtens für das Verständnis der Durchführung der "Euthanasie" außerordentlich wichtig ist. Czermak war nämlich, ähnlich wie Vonbun auf einer niedrigeren Stufe der Hierarchie, zur Mitarbeit an der Tötung der seiner Verantwortung übergebenen Pfleglinge bereit. Eifersüchtig bewachte er seine Kompetenzen, diente sich noch an, führte jede Verordnung strikt aus und war von sich aus bereit, jede sich bietende Nische des nur noch nach außen hin als Rechtsstaat agierenden Reiches für seine kriminellen Machenschaften zu nützen. Ohne Funktionäre dieses Zuschnitts hätte die "Vernichtung lebensunwerten Lebens" nie jedes Tal, jede abgelegene Ortschaft erreichen können. Ihre bis 1945 immer ausgeweitete Tätigkeit zeigt aber auch die überraschend starke Integration der "Euthanasie" in normale bürokratische Abläufe.
Czermak hat, auch hier ähnlich wie Vonbun, durchaus Eigeninitiative entwickelt. Der Verdacht, daß gerade dies nicht nur immer mehr, sondern auch immer in geringerem Maße "kranke" Pflegebefohlene (Armenhausinsassen, Hilfsschüler...) mit dem Leben zu bezahlen hatten, ist nicht unbegründet. Karrierestreben scheint auch bei Czermak im Spiel gewesen zu sein, allerdings war er wahrscheinlich mehr als Vonbun ideologisch motiviert.
13.2. Der ungeklärte Tod der nach Hall deportierten Vorarlberger Patienten
1941 wurden, wie bereits ausgeführt, 227 Patienten aus Valduna, unter ihnen viele Menschen, die gerade erst von Versorgungshäusern dorthin gebracht worden waren, nach Hall verbracht. Wahrscheinlich 44 von ihnen kamen weiter nach Hartheim, wo sie ermordet wurden (116). Demnach sind also 183 Personen in der Anstalt in Hall oder in angegliederten Häusern wie Ried, Mils und Imst selbst verblieben; eine unbekannte, aber nicht sehr große Gruppe von Südtiroler Patienten, wahrscheinlich zwei Männer und fünf Frauen, kam angeblich nach Schussenried, je eine Frau nach Kaufbeuren und Steinhof, weil sie ins Allgäu bzw. nach Wien zuständig waren (117).
1946, als die Ermittlungen der Kriminalpolizei betreffend Morde an psychisch Kranken und Behinderten in Vorarlberg vorläufig abgeschlossen wurden, ging man davon aus, daß von den insgesamt 447 deportierten Patienten noch 56 am Leben waren (118). Diese Annahme kann zwar aufgrund unseres heutigen Wissens nach oben korrigiert werden, es dürften ungefähr 100 gewesen sein (119). Es bleibt aber die Tatsache, daß von wahrscheinlich 174 nach Hall, Ried, Mils oder Imst verlegten und dort verbliebenen Patienten 68 (120), mehr als ein Drittel, in ungefähr vier Jahren "eines offenbar natürlichen Todes gestorben" sind, wie es im zitierten Bericht heißt (121).
Diese angeblich natürlichen Todesfälle sind recht auffällig verteilt. Die Männer überwiegen stark (44 von 68); die Todesrate war in Hall offenbar 1941 am höchsten (25 Personen in einem halben Jahr), sank dann bis 1944 (1942: 11, 1943: 7, 1944: 9). 1945, wiederum in einem halben Jahr, starben dann wieder 16 Vorarlberger Patienten in Hall.
Etwa 40 Prozent jener 174 Menschen, die nach Hall deportiert wurden, sind in dieser Anstalt oder in zugehörigen kleineren Aufbewahrungsorten ums Leben gekommen - der überwiegende Teil von ihnen in der Stammanstalt selbst. Dies rechtfertigt die Annahme, daß es bei diesen Todesfällen nicht immer mit rechten Dingen zugegangen ist, d. h. wenigstens Unterernährung der Patienten eine Rolle gespielt hat. Der starke Überhang der Männer könnte damit zusammenhängen, daß der Orden der Barmherzigen Schwestern, nachgewiesenermaßen bei der Rettung von Patienten engagiert, hauptsächlich Frauen gepflegt hat.
Die in Hall und den nachgeordneten Asylen Ried, Mils und Imst verbliebenen und dort verstorbenen Patienten waren im Durchschnitt recht alt, 39 von 68 älter als 70 und 21 älter als 60. Neben der Unterernährung, die vor allem 1945 eine Rolle gespielt haben dürfte, ist also wohl das Alter der Patienten insofern eine Todesursache, als ältere Menschen die Schrecken der (oft mehrfachen) Verlegung, des Ungewissen Schicksals und des Wissens um den gewaltsamen Tod der anderen Patienten kaum ertragen haben dürften.
Es ist kaum wahrscheinlich, aber immerhin nicht ganz unmöglich, daß in Hall, vielleicht nur in einem Teil der Anstalt, der besonders in den letzten Kriegsmonaten nur schlecht hätte kontrolliert werden können, Hunger und Medikamente gezielt angewendet wurden, um den Tod bestimmter Patienten herbeizuführen. Dies hätte jedenfalls den Intentionen Czermaks entsprochen und in den Plan der Zentrale in Berlin gepaßt. Solange allerdings die diesbezüglichen Akten gesperrt sind, muß diese Frage offenbleiben.
14. Die Rolle der Vorarlberger Psychiatrie
bei der Verurteilung von "Gewohnheitsverbrechern"
Das Sondergericht beim Landgericht Feldkirch hat eine Reihe von Todesurteilen gegen sogenannte "gefährliche Gewohnheitsverbrecher" gefällt, wobei die inkriminierten Vergehen in der Regel sehr gering waren. Das Sondergericht stützte sich auf im Verordnungs weg erlassene brutale Verschärfungen des Strafrechts. Am 22. Jänner 1942 wurde Anna Guttenberger, eine Sintiza, wegen der Erschleichung einiger Wintersachen zum Tod verurteilt, ihre minderjährige Tochter entging nur knapp dem gleichen Urteil (122). Zehn weitere Todesurteile wegen Bagatelldelikten wurden auf Betreiben des Feldkircher Staatsanwaltes Herbert Möller in den folgenden Jahren verhängt und vollstreckt (123). Wenn es dem Gericht notwendig schien, wurden psychiatrische und fachärztliche Gutachten eingeholt. Im Falle der Maria Adam (Tochter der Anna Guttenberger) brachte das angeforderte Gutachten des Sachverständigen Ludwig Müller den Versuch des Staatsanwalts zu Fall, auch das minderjährige Mädchen aufs Schafott zu bringen (124).
Im Falle des Verfahrens gegen Edmund Mäser wegen Mordes an Anton Klocker holte das Gericht ein umfangreiches Gutachten der Innsbrucker medizinischen Fakultät ein, um die Frage zu klären, ob die Ehefrau Mäsers zurechnungsfähig sei (125). Ihr im Gefängnis abgelegtes Geständnis belastete Mäser schwer; Amtsarzt Dr. Müller hatte eine Haftpsychose diagnostiziert, die Gutachter aus Innsbruck kamen aber zu der Ansicht, das Geständnis sei ohne Druck entstanden und daher voll zu werten. Edmund Mäser wurde zum Tod verurteilt und hingerichtet, obwohl der Tathergang nicht abgeklärt werden konnte (126).
Im umgekehrten Fall, wenn ein psychiatrisches Gutachten einen Angeklagten entlasten hätte können, wurde im allgemeinen weit weniger Sorgfalt aufgebracht. So kam Medizinalrat Nikolaus Wlad im Fall des Angeklagten Paul Schwetling mit sieben Seiten für sein Gutachten aus. Schwetling wurde dem gleichen Prüfungsverfahren unterzogen wie die Sterilisanden. Wlad kam zu dem Ergebnis, daß es sich bei Schwetling "mit größter Wahrscheinlichkeit um einen Zustand von Scheinblödsinn (Ganser-Zustand), entstanden auf psychopathischer Grundlage ..." handle (127). Eine Überführung in eine "Irrenanstalt" oder psychiatrische Klinik sei notwendig. Dieser Ansicht schloß sich Hans Steiner, mittlerweile Medizinalrat, in einem weiteren Gutachten im Mai 1943 an (128). Das weitere Schicksal Schwetlings ist unbekannt.
Ein homosexueller Schweizer Staatsbürger wurde vom Sondergericht wegen "Schändung und Unzucht wider die Natur" zum Tode verurteilt, obwohl der Angeklagte angeboten hatte, sich in der Schweiz kastrieren zu lassen und das Gebiet des deutschen Reiches nie wieder zu betreten. Er war in der Schweiz bereits sterilisiert worden, und zwar in der "Irrenanstalt" Waldau in Bern. Dem nationalsozialistischen Sondergericht lag auch ein Urteil des Kantonsgericht St. Gallen vom 8. Oktober 1935 vor, offenbar über "normale" Beziehungen zur Schweiz. Der Angeklagte wurde am 27.7.1944 in Stadelheim hingerichtet (129).
15. Tötungen von psychisch Kranken und Behinderten aus
Vorarlberg - eine Bilanz
Der verwirrende Vorgang der Deportationen, wie ich ihn in den vorangegangenen Kapiteln zu beschreiben versucht habe, erschwert den Überblick über die Gesamtzahl der Opfer. Dieser wäre aber wichtig, um aus Vergleichen mit anderen Regionen des Dritten Reiches regionale Unterschiede und damit das Ausmaß der Eigeninitiative lokaler und nachgeordneter Institutionen abschätzen zu können. Andererseits stößt die Berechnung der Anzahl der tatsächlich im Rahmen "eugenischer" oder "rassepflegerischer" Maßnahmen Getöteten auf große Schwierigkeiten. So wäre zum Beispiel die Zahl jener Menschen, die auf Veranlassung von in Vorarlberg tätigen Ärzten, Direktoren, Heimleitern oder Pflegern dem Tode überantwortet wurden, sehr wichtig. Dazu die folgenden Zahlen, zu deren Begründung ich auf das jeweilige Kapitel verweise:
- Aus der "Landes- Heil- und Pflegeanstalt Valduna" wurden insgesamt 592 Personen deportiert.
- Darunter waren 145 Schweizer Bürger, die an die Grenze gestellt wurden.
- 220 Menschen, davon 125 Frauen, wurden im Februar und März 1941 direkt nach Niedernhart bzw. Hartheim gebracht und dort - mit einer einzigen Ausnahme - sofort vergast.
- 227 Insassen der Anstalt Valduna, unter ihnen 106 Frauen, kamen zunächst in die Anstalt Hall in Tirol. Von diesen wurden 43 nach Hartheim gebracht und dort vergast; 32 davon nach dem Stopp der Vergasungen im Herbst 1941.
- 68 Personen, die in Hall hatten bleiben können und zum Teil in den Jahren 1942 und 1943 in angeschlossene Anstalten und Versorgungshäuser (Mils, Imst und Ried) verlegt worden waren, starben unter nicht ganz geklärten Umständen. Ihr Tod ist aber jedenfalls zum Teil eine Folge der Deportationen.
Somit sind 330 Patienten der Anstalt Valduna im Rahmen der Deportationen zu Tode gekommen, 262 davon vergast worden. 87 von ihnen sind unmittelbar vor den Verlegungen aus Vorarlberger Armen- und Versorgungshäusern nach Valduna gebracht worden. Ungefähr 300 Patienten haben die "Euthanasie" überlebt, allerdings fast die Hälfte nur deswegen, weil ein Zugriff auf sie aus staatsrechtlichen Gründen nicht möglich war. Unter Einrechnung der Schweizer Patienten ist in etwa jeder zweite Patient der Valduna getötet worden; läßt man sie in der Bilanz weg, sind von gut 500 Patienten aus Vorarlberg und Liechtenstein (130) 330 oder 66 Prozent zu Tode gekommen.
Damit ist aber diese erschreckende Bilanz noch nicht vollständig. Es fehlen:
- aus Vorarlberg stammende Insassen anderer "Irrenanstalten", Pflegeheime und Asyle. Ihre Zahl ist unbekannt, wir wissen aber, daß Vorarlberger aus Zuständigkeits- oder anderen Gründen in Hall, Kaufbeuren, Mariathal, Mils, Steinhof, Schussenried, Grafeneck, Weissenau, Günzburg und anderen Orten interniert oder von Valduna dorthin überstellt worden waren. Ich konnte zwölf solcher Fälle als zweifelsfrei getötet feststellen (131).
- Vorarlberger, die nach der faktischen Auflösung der Landes-Heil- und Pflegeanstalt Valduna im Frühjahr 1941 erkrankten und in einer psychiatrische Anstalt, meist in Hall, interniert wurden und zu Tode kamen. Allein aus dem Bezirk Bludenz habe ich neun Personen feststellen können. Einer von ihnen wurde angeblich noch im Juni 1944 in Niedernhart getötet, ein anderer ebenfalls Entmündigter 1942 in Dachau. Auch von der Gestapo in Bregenz wurden Vaganten an "Irrenanstalten" überstellt und in der Folge wahrscheinlich getötet.
- Vorarlberger Kinder (und später auch Erwachsene), die im Rahmen der "Kindereuthanasie" getötet wurden. Ich konnte dazu nur einen einzigen Fall finden, nämlich den eines achtjährigen Mädchens aus dem Vorderwald, das angeblich auf Veranlassung der Eltern in Kaufbeuren getötet wurde (132). Die Dunkelziffer ist hier sicher besonders hoch; aufgrund der Meldepflicht über die Gesundheitsämter dürfte eine beträchtliche Zahl behinderter Kinder und Jugendlicher erfaßt und getötet worden sein.
- Tuberkulöse und anderweitig schwer kranke Zwangsarbeiter, die in "Irrenanstalten" ermordet wurden. Für den Gau Tirol-Vorarlberg war hiefür die Anstalt Mauer-Öhling als "Sammelanstalt" zuständig (133).
- Menschen, die wegen sozialer Devianz nicht psychiatriert, sondern als Folge psychiatrischer Diagnostik als "Asoziale", Homosexuelle, "Zigeuner"... in ein Konzentrationslager gebracht worden und dort umgekommen sind oder von den Gerichten - auch in Vorarlberg -
- als Gewohnheitsverbrecher wegen Bagatelldelikten zum Tod verurteilt wurden.
- Opfer der Zwangssterilisierungen, die besonders bei Frauen sehr risikoreich waren (134).
- Opfer der Justiz, wenn mit Verordnungen wegen Bagatelldelikten Todesurteile gefällt wurden (135).
Aus Gründen der bruchstückhaften Überlieferung und der Unzugänglichkeit gewisser Quellen wird eine genaue Bilanz in absehbarer Zeit nicht möglich sein. Dies deckt sich mit der Situation der Forschung in anderen österreichischen Bundesländern, besonders in Tirol, Kärnten und der Steiermark.
16. Zwangssterilisierungen in Vorarlberg
Dieser Teil der rassistischen Politik des Nationalsozialismus ist, was Vorarlberg betrifft, bisher nicht beachtet worden. Mehr oder weniger zufällig (1) sind die Akten einiger Sterilisierungsverfahren beim Erbgesundheitsgericht beim Landgericht Feldkirch erhalten geblieben und bilden die quellenmäßige Grundlage für das folgende Kapitel.
Am 31. August 1939, sechs Jahre nach dem Inkrafttreten des "Gesetzes zur Verhütung erbkranken Nachwuchses" (2), war die Sterilisierung im "Altreich" auf sogenannte dringliche Fälle, d.h. solche mit "besonderer Fortpflanzungsgefahr" beschränkt worden; die anderen sollten bis zum Ende des Krieges aufgeschoben werden (3). Dies entsprach einerseits den Erfordernissen des Krieges (4), hängt aber zeitlich sehr eng mit der anlaufenden Durchführung des "Krieges gegen die psychisch Kranken" zusammen. Die Entscheidung über die Dringlichkeit lag beim Amtsarzt, der den Antrag stellte, und hatte keinen Einfluß auf den Ablauf des Verfahrens beim Erbgesundheitsgericht (5). Die Amtsärzte erhielten damit noch größeren Einfluß auf die (Vor-)Auswahl der zu Sterilisierenden, hatten doch sie die Beurteilung der Dringlichkeit nach praktischen Gesichtspunkten durchzuführen und dabei insbesondere einen "Hang zur Asozialität" zu beachten (6). Wegen der Überlastung der Amtsärzte kam die Entscheidung über die erhöhte Fortpflanzungsgefahr immer mehr in die Verfügung untergeordneter Instanzen wie der Gesundheitspflegerinnen, folgte zunehmend den Sippenkarteien der Gesundheitsämter und zog auch verstärkt die "soziale Anpassungsfähigkeit des Erbkranken" in Betracht (7).
Dies ist die Situation, in der die Zwangssterilisierung im ehemaligen Österreich verordnet wurde, nämlich zusammen mit einem Eheverbot für erblich angeblich Belastete am 14. und 15. Dezember 1939 (8). Sicher hat hier die Sterilisierung zahlenmäßig weniger Bedeutung gehabt als im "Altreich", da ja mittlerweile die radikale Vernichtung betrieben wurde (9).
Die Erbgesundheitsgerichte und Erbgesundheitsobergerichte schufen als Sondergerichte im Sinn rassistischer Ausnahmegesetze "Recht" unter eingehender Einbeziehung von Ärzten in das Verfahren (bei der Auswahl der "Sterilisanden", dem Antrag, dem Beisitz beim Gericht, der Gutachtertätigkeit in Zweifelsfällen und bei der operativen Durchführung des Zwangsaktes). Dies bedeutete eine Biologisierung sozialer Fragen und die radikale Verstaatlichung des Privaten.
"Der hygienische und anthropologische Rassismus brach mit der älteren Lehre von der 'Natur' des weiblichen Geschlechts, von der 'natürlichen Bestimmung des Weibes zur Mutterschaft'... Die 'biologische' Bestimmung der Frau zur Nicht-Mutter wurde mit der nationalsozialistischen Sterilisationspolitik staatlich institutionalisiert." (10)
Im Verfahren selbst stand dem Gericht, das sich seinerseits natürlich aus bestimmten Individuen ("Phänotypen") zusammensetzte, nicht das eigentliche Ziel des nach innen gerichteten "hygienischen" Rassismus, nämlich der "Genotyp" als eine angebliche Gefahr für das Volksganze, gegenüber, sondern immer eben auch ein Individuum, ein "Phänotyp" (11). Dies bedeutete, daß neben der Institutionalisierung rassistischer Ideologeme im Verfahren und im Gesetz immer auch noch die persönlichen Vorurteile und Projektionen der urteilenden Ärzte und Richter Bedeutung und Auswirkung hatten.
In den Jahren 1939 bis 1941 scheinen in Vorarlberg Sterilisierungen nicht eben häufig gewesen zu sein; mir sind insgesamt nur zwei Fälle bekannt, ein Mann aus dem Kleinen Walsertal, dessen Sterilisierung in Kaufbeuren angeblich auch mit politischer Opposition zusammenhing (12), und eine Frau, die gegen die Zusage, sich "freiwillig" zu sterilisieren zu lassen, aus Valduna entlassen wurde.
Eine formal freiwillige, in Wirklichkeit jedoch mit der Drohung eines Aufschubs der Entlassung erzwungene Sterilisation war im Deutschen Reich seit dem 26. Mai 1933 durch eine Novellierung des § 226a des Strafrechts möglich (13). Wir müssen annehmen, daß alle Patienten psychiatrischer Anstalten aus Vorarlberg, also auch jene, die nach Hall deportiert worden und von dort noch im Laufe des Krieges entlassen worden waren, entweder nach diesem § 226a des Strafgesetzbuches oder aber nach dem kurz danach erlassenen Gesetz "zur Verhütung erbkranken Nachwuchses" sterilisiert worden sind. Ebenso trifft diese Vermutung auf alle behinderten oder psychisch kranken Menschen zu, die im Verlaufe des Krieges vorübergehend in einer Anstalt des "Dritten Reichs" behandelt wurden und bei denen eine angeblich erbliche Krankheit diagnostiziert wurde.
Es fiel in den Aufgabenbereich der Amtsärzte, fallweise auch der Gemeindeärzte, Menschen außerhalb der Anstalten anzuzeigen, die nach dem Sterilisationsgesetz von der Fortpflanzung auszuschließen waren. Die erhaltenen Akten des Erbgesundheitsgerichts, wie bereits angemerkt höchstwahrscheinlich Einsprüche beim Erbgesundheitsobergericht in Innsbruck und aufgeschobene Sterilisationen, umfassen zehn Personen, zur Hälfte Frauen, zwei davon schwanger. Aus Mitteilungen, die sich bei diesen Prozeßakten finden, lassen sich weitere neun Sterilisierungsverfahren (gegen zwei Frauen und sieben Männer) erschließen, dazu noch drei Verfahren gegen die Verwandten einer "Sterilisandin". So weit feststellbar, erfolgten alle Verfahren auf Antrag von Amtsärzten, fünfmal von Müller, zweimal von Leubner und je einmal von Karl Brutmann (Amtsarzt für den Kreis Bludenz), Kapferer (14) und Meßmer, dem Nenzinger Gemeindearzt. Formal war meistens zusätzlich auch der "Sterilisand" als Antragsteller angegeben, wir wissen aber aus der Literatur und auch aus den vorliegenden Akten, daß dies nur zur Kaschierung des Zwanges und teilweise unter falschen Angaben erfolgte.
Neun von zehn Diagnosen lauteten auf angeblich angeborenen Schwachsinn, eine auf Schizophrenie. Zur Erstellung einer solchen Diagnose wurde normalerweise, auch in den vorliegenden Fällen, eine sogenannte Intelligenzprüfung in Form einer mündlichen Prüfung durch den Amtsarzt durchgeführt. Über die notwendigerweise schichtenspezifisch unterschiedliche Relevanz und Akzeptanz des abgefragten Wissens hinaus spielten aber auch noch andere eher sozial als medizinisch zu kategorisierende Umstände eine Rolle. Dazu zählten familiäres Umfeld, angebliche erbliche Belastung der Familie, Schulerfolg, Arbeitsfähigkeit und Verhalten am Arbeitsplatz und - Gipfel des Zynismus - auch das Verhalten vor dem Gericht. So heißt es in einer Begründung des Erbgesundheitsobergerichts Innsbruck zur Ablehnung einer Beschwerde:
"Asoziale Lebensführung, moralische Minderwertigkeit sind ein weiterer Hinweis auf Schwachsinn. Es wurde nun erhoben, daß N.N., obwohl notdienstverpflichtet, seinen Arbeitsplatz zum Bau eines Flughafens (sic! grammatische Fragen hatten ja nur die Sterilisanden, nicht die Richter über sich ergehen zu lassen, GE) eigenmächtig verlassen hat. Bei der Verhandlung vor dem Erbgesundheitsobergericht hat er den Amtsarzt (Müller, GE) beschuldigt, daß er seine Unterschrift auf dem Sterilisierungsantrag durch falsche Angaben herausgelockt habe. Dieser offensichtlich unberechtigte Vorwurf weist ebenfalls auf einen moralischen Defekt hin." (15)
Im Regelfall holte man offensichtlich eine Auskunft des Arbeitgebers ein; überwiegend positiv, hatte sie anscheinend wenig Gewicht. Ihre Qualität ist mit einem Zitat aus einer solchen Auskunft der Mosterei Rauch in Rankweil ausreichend illustriert: "Obwohl Genannte zu Hause nur wenig Arbeit hat, war diese immer nur mit Mühe zu bekommen ..."(16)
Immer wieder wird die eigentliche Zielrichtung der Sterilisationspolitik, nämlich die genetische Ausmerzung angeblich erblich belasteter Familien, deutlich. Dabei spielten die in der Regel vom Gesundheitsamt erstellten Sippentafeln, die dem Akt beigelegt wurden, eine wichtige Rolle. Dadurch konnte über eine betroffene "Sterilisandin" herausgebracht werden, daß ein Bruder des im übrigen taubstummen Mädchens und zwei Kusinen bereits sterilisiert worden waren. Auch im übrigen ist die Sippentafel, erstellt von der Gesundheitspflegerin G. Büschel, wegen ihrer pseudomedizinischen Sozialdiagnostik bemerkenswert (17). Zwei Geschwister eines anderen "Sterilisanden" waren ebenfalls als schwachsinnig diagnostiziert worden, ein weiteres an TBC gestorben (18).
Das Sterilisierungsverfahren war in einigen der mir zugänglichen Fälle in Gang gekommen, weil um eine Heiratserlaubnis bzw. Unbedenklichkeitsbescheinigung des Gesundheitsamtes eingekommen worden war. Hier war die in Aussicht stehende Sterilisation besonders tragisch, was in Einzelfällen sogar bei Amtsärzten eine etwas mildere Gangart hervorrufen konnte.
Eine "Sterilisandin", die beim Gesundheitsamt in Feldkirch um eine Eheunbedenklichkeitsbescheinigung angesucht hatte, wurde dort wegen Schwachsinns zur Sterilisation vorgesehen (19). Sie wandte sich an Dr. Basler, vertretungsweise Amtsarzt in Imst. Dieser wies auf ihre Arbeitsfähigkeit (die Frau war inzwischen zu ihrer Schwester nach Imst verzogen, arbeitete in deren Geschäft "und hat auch beim Verkauf richtig mit dem Geld umzugehen verstanden") hin und erklärte ihr schlechtes Abschneiden bei der Intelligenzprüfung in Feldkirch mit ihrem "Aufregungszustand" (20). Dr. Basler hielt die Frau für einen "Grenzfall" und teilte dies dem Amtsarzt des Kreises Feldkirch, Dr. Müller, mit (21). Wie in den anderen Fällen ist der weitere Verlauf aber auch hier unbekannt.
Wie viele der hier zitierten Sterilisationsverfahren tatsächlich mit einer Sterilisierung endeten, war nicht zu eruieren. Offensichtlich schob man eine gerichtliche beschlossene und durch Abweisung des Einspruches rechtsgültig gewordene Operation dann auf, wenn sie für die "Sterilisanden" lebensgefährlich war, wenn der/die zu Sterilisierende besonders gebraucht wurde, hoch schwanger (22) oder so kaserniert war, daß keine "Fortpflanzungsgefahr" bestand. In allen diesen Fällen blieb aber die Sterilisation als stete Drohung aufrecht, eine Verhaltensänderung allein schon am Arbeitsplatz konnte das Ende des Aufschubs bedeuten.
Wie viele Frauen und Männer tatsächlich in Vorarlberg sterilisiert wurden, wird ebenso wie die Zahl der zwangsweise vorgenommenen Abtreibungen und der Todesfälle bei den Operationen kaum mehr zu eruieren sein. Erst recht nicht abschätzbar sind Sterilisierungen und Abtreibungen an Zwangsarbeiterinnen.
Zusammenfassend scheint mir insbesondere die Tatsache wichtig, daß der Widerstand gegen die Sterilisierung unter Zwang und die begleitenden oder von den Gesetzen her dazugehörenden Maßnahmen (Zwangsabtreibung, andererseits Abtreibungsverbot eugenisch "gesunder" Kinder, Kastration, erbbiologische Erfassung der Bevölkerung, Verbot der freiwilligen Sterilisierung als einer Methode der Verhütung) weit geringer war als gegen die ebenso eugenisch begründete und letztlich auf denselben Prämissen beruhende "Euthanasie". Das heißt, daß sich der "hygienische" Rassismus weit über die Anhängerschaft des Nationalsozialismus in die Köpfe der im Gesundheitsbereich Arbeitenden ausbreiten konnte - auch in katholische, und dies trotz der ablehnenden Haltung der katholischen Kirche auch zur Sterilisierung. Oder mit den Worten der maßgeblichen Forscherin auf diesem Bereich, Gisela Bock:
"Nicht trotz, sondern wegen der Verbreitung der autoritär und polizeistaatlich orientierten Rassenhygiene auch in anderen politischen Lagern, nicht trotz, sondern wegen der Tatsache, daß auch NichtNationalsozialisten die Sterilisierungspolitik befürworteten oder ihr nichts entgegenzusetzen hatten, konnte die nationalsozialistische Diktatur sie gesetzlich institutionalisieren." (23)
Und, könnte man bezüglich Vorarlberg hinzusetzen, faktisch bis Kriegsende als eine Vernichtungsstrategie gegen angebliche "eugenische" Deformationen, in Wirklichkeit gegen alles "Arme", "Kranke" und "Fremde" aufrechterhalten und damit auch in diesem Land die Verstaatlichung des Intimbereichs durchsetzen.
Der Zwangscharakter der Sterilisierung wurde auch hierzulande konsequent verdrängt. So erteilte das Sanatorium der Kreuzschwestern in Mehrerau, wo wahrscheinlich die meisten Zwangssterilisierungen in Vorarlberg vorgenommen wurden, im März 1960 folgende "Ärztliche Bestätigung":
"Bei Frau N.N. wurde im Jahre 1941 über Anweisung des Landesgerichts Feldkirch auf freiwilliger Basis bei der Pat(ientin, GE) die Sterilisation ausgeführt..." (24)
Anmerkungen
zu Kap. 9-15
2) Müller o.J. Band 2: 121 ff. Die Originale dieser Dokumente befinden sich laut Müller im Diözesanarchiv, wo mir aber der Einblick verweigert worden ist.
3) Bruder von Dr. Irmfried Eberl, Landesrat für Finanzen und Leiter der Vorarlberger Industrie- und Handelskammer, später Aufsichtsratvorsitzender der Illwerke, vgl. Walser 1989: 43 und 94
6) Bericht von Alois Griß an die Landeshauptmannschaft, 28.3.1938, abschriftlich in Müller o.J. Band 2: 121 ff.
8) Müller o.J. Band 2: 153 ff.
10) Müller o.J. Band 2: 151 ff.
14) Laut Auskunft seiner Frau vor dem Scheidungsgericht im August 1944 hatte Vonbun in Mauer-Öhling bereits Schwierigkeiten mit dem dortigen Direktor, und zwar aus politischen Gründen, vgl. StA Konstanz 2 Js 524/61, Äußerung der beklagten Partei zur Widerklage, 10.8.1944, Anna Vonbun. Die politische Beurteilung durch das Gaupersonalamt vermerkte, dass Vonbun "seinerzeit" klerikal eingestellt und egoistisch gewesen sei, StA Konstanz ebenda, 11.12.1941. In seinem Personalfragebogen, ausgefüllt am 11. Juni 1938, hatte Vonbun selbst angegeben, 1933-1935 Vertrauensmann der NSDAP in Mauer-Öhling gewesen zu sein, StA Konstanz 2 Js 524/61 AS 485 f.
18) Vgl. Aussage Steiners am 17.9.1948 in Innsbruck beim Verfahren 10 Vr 4770/47, in Kopie bei StA Konstanz 2 Js 524/61 AS 45 f. Die Angaben Simmas (1974: 263) sind nicht korrekt.
21) VLA Pr. 1100-38, 9.12.1938
22) StA Konstanz 2 Js 524/61, Vonbun an Gau-Selbstverwaltung 12.10.1943 AS 1507 ff. und Einvernahmen am 7.2.1961, am 18.9.1962 und am 17.11.1962
23) StA Konstanz 2 Js 524/61, BMfI an StA Konstanz, 6.12.1965 S. 10 f. (AS 2289 f.)
25) StA Konstanz 2 Js 524/61, AS 1499 ff.
26) Zur "Kindereuthanasie" siehe Kapitel 1.4.
30) GStA Js 18/61, in Kopie bei StA Konstanz 2 Js 524/61, AS 108 ff.
31) Aussage der Sr. Eberharda Hendlmaier in Innsbruck am 23.5.1946, WuVT Band l : 503
32) Aussage der Schwester Maria Liguoria am 9. Oktober 1963 vor der Kriminalabteilung Vorarlberg, StA Konstanz 2 Js 524/61 AS 1779
33) Vgl. Aussage von Ernst Klebeisberg am 15.5.1946, Dokumentationsarchiv 1984 Band 1: 498 f. als Datum gibt Klebelsberg allerdings, abweichend von Mennecke, den August an.
34) Hamburger Institut für Sozialforschung 1987, Band 1: 162
35) Aussage von Klebelsberg in Innsbruck am 15.5.1946, Dokumentationsarchiv 1984 Band 1: 499, Aussage von Renno im November 1963 in Frankfurt, Kopie bei StA Konstanz 2 Js 524/61 AS 1239 f.
36) Dokumentationsarchiv 1984 Band 1:488
39) Siehe dazu w.u. Kapitel 14.1. und 14.2.
40) Dokumentationsarchiv 1984 Band 1:492
41) Nach der Aussage Klebeisbergs stammten nur 49 von den 60 zu diesem Zeitpunkt deportierten Patienten aus Hall, 11 hingegen aus Valduna, Bericht der Bundespolizeidirektion Innsbruck vom 15.5.1946 S. 8, kopiert in StA Konstanz 2 Js 524/61 AS 94
42) Diese Angabe ist nicht verifizierbar.
43) Wahrscheinlich in Mariathal (Aussage Alfons Schweiger am 21.8.1948, Kopie in StA Konstanz 2 Js 524/61 AS 409) und sicher in Mils (Hauptverhandlung gegen Czermak am 30.11. und 1.12.1949 in Innsbruck, Kopie in StA Konstanz 2 Js 524/61 AS 534 ff.) hat Czermak Fotos gemacht, ein weiterer Beweis seiner Einbindung in die "wissenschaftliche" Verwertung der "Euthanasierten". Die Äußerung Friedrich Stumpfls im Club 2 ("Mißbrauchte Medizin", 20.4.1989), er habe "bei Hall" ein krankes Kind gesehen, das sehr schwer behindert, wenn auch nicht erbkrank gewesen sei und aus familiären Rücksichten überleben habe können, scheint mir darauf hinzuweisen, daß in den Prozeß der "Begutachtung" noch weitere Experten einbezogen waren.
44) Dokumentationsarchiv 1984 Band 1:650 f.
45) Neugebauer 1983: 229, Leimgruber
1988:414
46) Bundespolizeidirektion Innsbruck, Kriminalabteilung, Bericht vom 15.5.1946 S. 12, kopiert in StA Konstanz 2 Js 524/61 AS 101
48) Aussage der Schwester Erharda Hendlmair, 23.5.1946, Dokumentationsarchiv 1984 Band 1: 503
50) Dokumentationsarchiv 1984 Band 1: 500
51) siehe dazu Kapitel 14.1. und 14.2.
52) Dr. Fritz Schienle, Reichsdeutscher und illegaler Nationalsozialist und als solcher nach Deutschland abgeschoben, traf am 28. März 1938 wieder - in SA-Uniform - in der Anstalt Gaisbühel ein. VT 31.3.1938 und Walser 1983: 78 und 135
55) Müller o.J. Band 3: 8. Simma 1974: 211 schreibt von insgesamt 129 Schweizer Patienten, laut Dr. Hubert Schneider (schriftliche Mitteilung 3.6.1990) waren es nur 119. Ich halte die von Müller angegebene Zahl für die wahrscheinlichste.
56) Abschrift des Briefes der GEKRAT an Czermak vom 6.11.1940 bei StA Konstanz 2 Js 524/61 AS 213
58) StA Konstanz 2 Js 524/61; Vernehmung am 7.2.1961 AS 3 ff.; Vernehmung am 18.9.1962 AS 1087 ff; Vernehmung am 17.11.1962 AS 1111 ff.; Vernehmung am 26.2.1964 AS 1809 ff.
59) StA Konstanz 2 Js 524/61, Vernehmung am 15.11.1962 AS 1117 f.; Vernehmung im November 1961 AS 1230 ff. und Vernehmung am 19.2.1963 AS 1357 ff.
60) Renno am 19.2.1963, StA Konstanz 2 Js 524/61 AS 1357 ff.
63) Aussage von Dr. Gebhard Ritter am 14.3.1963 in Lindau, StA Konstanz 2 Js 524/61 AS 1401 ff.
64) Vgl. Johann-August-Malin-Gesellschaft 1985: 212
65) Laut der schriftlichen Mitteilung von Dr. Hubert Schneider vom 3.6.1990 wurden 1940 wegen Umbauten in der "Irrenanstalt" in Hall 73 Patienten nach Valduna gebracht; einige von ihnen kamen direkt nach Hartheim, andere zunächst nach Hall. Ich habe diese Patienten im folgenden nicht gesondert ausgewiesen, da sie in jedem Fall unter die Verantwortung Vonbuns fallen.
66) Vgl. Transportliste, Beilage zum Bericht der Bundespolizeidirektion Innsbruck vom 15.5.1946, StA Konstanz 2 Js 524/61 AS 149. Meinen Erhebungen zufolge befand sich bei dem Transport eine Patientin der Anstalt Hall, die nie in einer Vorarlberger Anstalt gewesen war; laut der schriftlichen Mitteilung Dr. Hubert Schneiders vom 3.6.1990 trifft dies auf weitere drei Personen zu.
67) Vgl. Steurer 1982: 19. Schussenried war auch "Sammelanstalt" für geisteskranke Ostarbeiter, Klee 1983: 366
68) Vgl. die Aussage Alfons Schweigers am 21.8.1948 in Innsbruck, Kopie in StA Konstanz 2 Js 524/61 AS 409, er habe gehört, es hätten sich in Hall furchtbare Szenen abgespielt, als die Patienten aus Valduna von ihrer bevorstehenden weiteren Verlegung hörten.
69) Bericht Müllers, 1.3.46, Kopie bei StA Konstanz 2 Js 524/61 AS 1543
70) Aussage der Schwester Tolentina (Amalia Amrain), 13.9.1963 vor der Kriminalabteilung der Vorarlberger Landesregierung, StA Konstanz 2 Js 524/61, AS 1753 f.
72) Aussage der Johanna Mayer, 25.10.1963 vor der Kriminalabteilung der Vorarlberger Landesregierung, StA Konstanz 2 Js 524/61, AS 1759 f.
73) Aussage von Dr. Theodor Leubner am 9.10.1963 vor der Kriminalabteilung der Vorarlberger Landesregierung, StA Konstanz 2 Js 524/61 AS 1763 ff.
74) Vgl. dazu meine Sendung im "Hörfenster" (Ö Regional, 27.9.1986)
76) StA Konstanz 2 Js 524/61 AS 1777
77) Einstellungsbeschluß StA Konstanz 2 Js 524/61 21.6.1966 S. 21
79) Vgl. dazu die handschriftlichen Vermerke Müllers auf den Erlässen der Vorarlberger Landesregierung zur Umgestaltung des Gesundheitswesens im nationalsozialistischen Sinne im Oktober 1938. Müller war auf diesem Wege über die enge Zusammenarbeit der Gesundheitsämter mit den -parteieigenen - Ämtern für Volksgesundheit voll informiert und scheint diese im Rahmen seiner beruflichen Pflichten akzeptiert zu haben. VLA BHF IIIa-341/1-1938
81) Schriftliche Mitteilung N.N., Graz 21.1.1989. Müller könnte auch aus anderer Quelle, z.B. von Gebhard Ritter, Informationen erhalten haben.
82) Steiner war am 31.12.1939 nach seiner Tätigkeit in Valduna dem Gesundheitsamt Feldkirch überstellt worden. In seiner Vernehmung am 17.9.1948 gab er an, dem Ansinnen Vonbuns nur widerstrebend entsprochen zu haben. In den Armenhäusern habe er die Patienten "in heller Aufregung und Furcht" , jedoch arbeitsfähig und nicht geisteskrank vorgefunden - StA Konstanz 2 Js 524/ 61 AS 450 ff.
83) Aller Wahrscheinlichkeit nach in Altach und Nofels, vgl. eine weitere Aussage Steiners am 27. Mai 1963 in Lindau, StA Konstanz 2 Js 524/61 AS 1463 f.
84) Aussage des ehemaligen Bürgermeisters von Frastanz, Albert Amann, am 7.11.1963 in Feldkirch, StA Konstanz 2 Js 524/61 AS 1599 ff.
86) Z.B. in seinem schriftlichen Bericht an die Vorarlberger Landesregierung vom 1.3.1946, StA Konstanz 2 Js 524/61 AS 619 ff.
87) Aussage Albert Amanns vom 8.8.1963 in Feldkirch, StA Konstanz 2 Js 524/61 AS 1631 f. Müller am 27.5.1963 in Lindau: "Hierbei handelte es sich wirklich um einen hochgradigen Fall von Idiotie, und ich bin der Meinung, daß Bürgermeister Amann auch wegen dieses Patienten damals gar nicht interveniert hat" (gemeint ist beim Landrat bzw. bei Dr. Müller), StA Konstanz 2 Js 524/61 AS 1459
88) Die Frage, wie diese Listen zustande gekommen sind und ob sie für alle Armenhäuser, aus denen Vonbun Insassen requiriert hat, erstellt worden sind, kann nicht geklärt werden. Höchstwahrscheinlich aber haben nur Pflegeheime wie Oberlochau Listen ausfüllen müssen.
89) Alle Zitate nach einer Kopie dieses Briefes in StA Konstanz 2 Js 524/61 AS 632 und 1560
90) Meusburger o.J.: 15. Die Kopie hat mir freundlicherweise Hans Weiss zur Verfügung gestellt.
92) OLG 10 Vr 4740/47, Kopien der wesentlichen Akten bei StA Konstanz 2 Js 524/61
94) Dokumentationsarchiv 1984 Band 1: 492 und oben Kapitel 11.3.
95) Dokumentationsarchiv 1984 Band 1:493
98) RMdl IV g 8410/41 5114 vom 6.1.1942, Kopie in StA Konstanz 2 Js 524/61 AS 691
99) Scharfetter am 31.1.1942 in Innsbruck, Kopie in StA Konstanz 2 Js 524/61. Die Auskunft Scharfetters scheint im übrigen die Vermutung zuzulassen, daß dieser Klinikleiter über die fatale Arbeitsteilung zwischen "Heilern" in den Kliniken und Mördern in den "Euthanasie"-Anstalten (Vernichtung der Unbrauchbaren und Unheilbaren) informiert war.
100) Klebelsberg in Innsbruck, 31.1.1942, Kopie in StA Konstanz 2 Js 524/61
101) Antwort Czermaks zum Erlaß des RMdI vom 6.1.1942 vom 31.1.1942, Kopie in StA Konstanz 2 Js 524/61
102) Dokumentationsarchiv 1984 Band 1:494
104) vgl. Klee 1983: 345 ff. und Schmuhl l987:217ff.
105) 29.9.1942. Kopie des Schreibens in StA Konstanz 2 Js 524/61 AS 711
106) Lonauer, 5.11.1942, Kopie in StA Konstanz 2 Js 524/61. Lonauer könnte den Transport per Bus gemeint haben, da er im selben Brief auf die zu erstattenden Benzinkosten zu sprechen kommt, vielleicht aber auch die Verlegung über die Zwischenanstalt (die allerdings nicht neu war). Die etwas unklare Passage erhält aber nur dann einen eindeutigen Sinn, wenn wir annehmen, daß vom "Euthanasie"-Stopp bis zum August 1942 in Niedernhart per Hunger oder Überdosierung von Medikamenten getötet wurde.
107) 12.11.1942, Kopie in StA Konstanz 2 Js 525/61
109) Hamburger Institut für Sozialforschung 1987 Band 2: 941. Das Schreiben ist nicht datiert.
110) Ebenda 941. Nitsche hat den Inhalt des Menneckeschen Schreibens am 2.12.1943 in einem Brief an Allers wiederholt.
111) Nitsche an Mennecke, wahrscheinlich am 15.12.1943
113) RMdI IV g 8796/42 5100 vom 18.11.1942, Kopie in StA Konstanz 2 Js 524/61 AS 705 f.
114) IIIb/2-B X 2, 11.1.1943, Kopie in StA Konstanz 2 Js 524/61 AS 713
115) 17.4.1945, Dokumentationsarchiv 1984 Band 1: 497
117) Müller (o.J. Band 3: 137 ff.) rechnet mit mehr Überstellungen in eine "andere Anstalt". Demnach wären nur 147 Patienten in Hall, Ried oder Imst geblieben.
118) Bericht der Kriminalabteilung für Vorarlberg, 27.12.1947, StA Konstanz 2 Js 524/61 AS 607 ff., hier 620
119) Die Ungenauigkeit dieser Angabe erklärt sich aus der Tatsache, daß es 1946 und 1947 der Kriminalpolizei in vielen Fällen nicht gelungen ist, den Aufenthaltsort angeblich toter Patienten zu klären. Einige Fälle sind bis heute nicht restlos geklärt; Müller (o.J. Band 3: 137) spricht von 112 Überlebenden.
120) So der zitierte Bericht (ebenda) und meine eigenen Berechnungen. Es bleiben dabei einige Unsicherheiten, die wirkliche Zahl war wahrscheinlich geringfügig höher. Müller rechnet mit 59 direkt in Hall verbliebenen und dort gestorbenen Patienten; seinen Angaben nach sind in Ried, Mils und Imst nur insgesamt 7 Patienten gestorben, Müller o.J. Band 3: 137 ff.
122) LGF SLs 2/42; Johann-August-Malin-Gesellschaft 1985: 129 f., 201, 297
123) vgl. Egger 1988, Akten des Sondergerichts beim LGF und zu Möller Weiss/Federspiel 1988: 123
125) Fakultätsgutachten in der Strafsache gegen Edmund Mäser wegen Mord, 3.1.1942, SLs 11/41
127) Nikolaus Wlad, Psychiatrischer Befund und Gutachten, 5.11.1942, LGF KLs 12/43
128) Gerichtspsychiatrisches Gutachten, 19.5.1943, LGF KLs 12/43
130) Es konnte nicht geklärt werden, warum die Liechtensteiner Patienten nicht wie jene aus der Schweiz ausgewiesen wurden.
131) Zusammen mit den von Dr. Hubert Schneider in seiner schriftlichen Mitteilung vom 3.6.1990 angeführten Personen würde sich diese Zahl auf 15 erhöhen.
132) Verzeichnis von aus politischen Gründen 1938-1945 hingerichteten und zu Tode gekommenen Personen in Vorarlberg, 21.7.1956, Nachlaß Josef Greußing, VLA. Ein körperbehindertes Kind aus Bregenz ist vom behandelnden Arzt "nach oben" gemeldet worden; die Eltern mußten es zu einer Untersuchung nach Eglfing-Haar bringen, weigerten sich aber, es dortzulassen, mündliche Mitteilung N.N. 7.3.1988. Die Vorgänge um die "Kindereuthanasie" müssen wohl mangels Quellen vorläufig im dunkeln blieben. Viele der im Rahmen der "Aktion T 4" Getöteten waren Jugendliche, einige Kinder.
Anmerkungen
zu Kap. 16 (Zwangssterilisierungen)
1) Im Altreich kamen ab 1935, im ehemaligen Österreich seit der Einführung der nationalsozialistischen Sterilisationsgesetze die Prozeßakten im allgemeinen an das für den Sterilisanden zuständige Erbgesundheitsgericht. Bei Aussetzung der Sterilisation oder Verschiebung wegen mangelnder Dringlichkeit blieben die Akten offenbar beim Gericht, vgl. Bock 1986: 180. So dürften auch die mir zugänglichen Akten des LGF erhalten geblieben sein.
6) So ein Erlaß Lindens vom 5.12.1939, zitiert bei Bock 1986: 235
12) Mündliche Mitteilung N.N. 18.7.1989 Mittelberg
14) Amtsarzt des Landkreises Innsbruck
17) Kopie in meinem Besitz, EGG beim LGF XIII 8-42
18) Gerade an der wiederkehrenden Hervorhebung dieser Krankheit erweist sich die versteckte Klassifizierung sozialer Umstände. TBC war natürlich nach offizieller nationalsozialistischer Doktrin nicht erblich, vgl. Seiffert 1938: 11, der aber doch den Erbanlagen einen wichtigen Einfluß auf den Verlauf einer tuberkulösen Erkrankung beimaß.
19) Dr. Müller am 4.12.1942: "Über erbliche Belastung konnte nichts erfragt werden. N.N. hat in der 6-klassigen Volksschule in R. nur die 4. Klasse erreicht ... wenig Arbeitseifer (es handelt sich um das bereits zitierte Gutachten der Firma Rauch, GE) ... mangelhaftes Schul- und Erfahrungswissen ... Übrigens scheint doch auch ein Bruder N.N.s geistig minderwertig zu sein, da N.N. selbst angibt, er sei in der Schule einige Male sitzen geblieben und könne nicht gut sprechen. Die Diagnose angeborener Schwachsinn scheint daher gesichert. Bei der bestehenden Heiratsabsicht ist besondere Fortpflanzungsgefahr gegeben und daher der Antrag auf Unfruchtbarmachung begründet." EGG beim LGF XIII 10-43
20) Intelligenzprüfungsbogen liegt in Kopie vor, EGG beim LGF XIII 10-43
21) Dr. Basler an Dr. Müller, 18.3.1943, EGG beim LGF XIII 10-43
22) Bei Schwangerschaft im zweiten Monat plädierte Müller in einem Fall aber für "möglichst baldige Festsetzung eines nahen Zeitpunktes für die Verhandlung", da "N.N. schwanger ist und eine Unterbrechung der Schwangerschaft allenfalls in Frage kommt", EGG beim LGF XIII 8-44.
24) Kopie im Besitz des Verfassers