Harald Walser (1987): Der Tod eines Staatsdieners. Hugo Lunardon und der Nationalsozialismus in Dornbirn
Harald Walser
Der Tod eines Staatsdieners
Hugo Lunardon und der Nationalsozialismus in Dornbirn (1)
Erschienen in: Dornbirner Statt-Geschichten. Kritische Anmerkungen zu 100 Jahren politischer und gesellschaftlicher Entwicklung. Hg. Werner Bundschuh / Harald Walser. Bregenz 1987, S. 210-242
Am 14. März 1940 starb der Gefangene mit der Nummer 14.363 um 17 Uhr 15 im Konzentrationslager Mauthausen an angeblichem "Herzfehler" und an "Herzmuskelfehler". Seine Gefangenen-Nummer wurde umgehend wiederverwendet und einem soeben eingetroffenen polnischen Staatsbürger zugeteilt. Niemand sollte aufgrund der Häftlingsnummern erkennen können, wieviele "Schutzhäftlinge" im Konzentrationlager waren bzw. im Laufe der Zeit dorthin gebracht wurden.
Wieso kam Hugo Lunardon nach Mauthausen? Was war passiert, daß der am 2. November 1893 in Hard als Sohn des italienischsprachigen Flickschusters Bartolo Lunardon und seiner Frau Maria, geb. Tomio, zur Welt gekommene ehemalige Graveur ein derartiges Schicksal erleiden mußte?
Blenden wir zurück in die Zeit unmittelbar nach dem Ersten Weltkrieg. Hugo Lunardon hatte eine lange Kriegszeit hinter sich. Bereits 1914 mußte er einrücken und kam gleich an die Front, wo er zweimal verwundet wurde. Schließlich geriet er in Kriegsgefangenschaft - 43 Monate war er in verschiedenen russischen Gefangenenlagern - und kam dann in einen wirtschaftlich sehr stark angeschlagenen Staat zurück. Unter großen Entbehrungen hatte ihm sein Vater vor dem Ersten Weltkrieg eine solide Berufsausbildung ermöglicht, doch Graveure brauchte man nun, in diesen wirtschaftlichen Notzeiten, nicht allzuviele. Sollte alles umsonst gewesen sein? War der gesellschaftliche Aufstieg für den "Italiener" in Vorarlberg zu diesem Zeitpunkt nicht möglich? Hugo Lunardon war zäh, so schnell wollte er nicht aufgeben. Er meldete sich zur Gendarmerie und wurde auch prompt akzeptiert.
In Innsbruck absolvierte er daraufhin seine Grundausbildung und wurde nach erfolgreich bestandener Abschlußprüfung dem Landesgendarmeriekommando für Vorarlberg zugeteilt. Da er wesentlich älter war als die meisten neueingestellten Gendarmen, wollte er sich doppelt bemühen und machte sich auch bald durch seine Dienstbeflissenheit und seinen Eifer einen Namen als guter Gendarm. In den ersten Jahren wurde er an etliche Posten im Land versetzt und lernte so die verschiedensten Seiten seines Berufes kennen (2). Auch in persönlicher Hinsicht entwickelte sich sein Leben sehr positiv. Am 15. März 1931 heiratete er die Bregenzer Bäckerstochter Olga Frick, 1933 und 1935 wurden seine beiden Töchter Olga und Gertrud geboren. Sein Leben schien sich so zu entwickeln, wie er es sich erhofft hatte.
Doch Lunardons Wirken als Gendarm fiel in eine politisch höchst brisante Zeit. Die nationalsozialistische Bewegung machte sich allerorts bemerkbar und geriet durch ihre Militanz immer wieder in Konflikt mit der Exekutive. Für Hugo Lunardon war die Bekämpfung der NSDAP selbstverständliche Pflicht, bedrohte diese Partei doch jenen Staat, der ihm seinen gesellschaftlichen Aufstieg ermöglicht hatte und dem er - praktizierender und überzeugter Katholik - durch seinen Eid als Beamter verbunden war. Politik war nicht seine Sache. Zwar besuchte er an manchen Sonntagen christlichsoziale Veranstaltungen im Dornbirner Vereinshaus, das war aber für einen Beamten in der damaligen Zeit zumindest "empfehlenswert". Das Singen im Gesangsverein "Liederkranz Dornbirn" machte ihm wesentlich mehr Spaß.
Was war das für ein Staat, dem Hugo Lunardon so bedingungslos diente? Dessen Gegner er konsequent verfolgte und die er oft auch nicht allzu zimperlich "anfaßte"? Österreich war schon in den zwanziger Jahren in argen wirtschaftlichen und daraus folgend auch politischen Schwierigkeiten. Als sich dann ringsum (Italien, Ungarn, Jugoslawien, Deutschland) faschistische Systeme etablierten, drängten große Teile des christlich-konservativen Lagers ebenfalls in diese Richtung. Den ideologischen Rückhalt erhielt man durch verschiedene päpstliche Enzykliken ("Rerum novarum" und "Quadragesimo anno"). Doch der "Konkurrenzfaschismus", der deutsche Nationalsozialismus, hatte eine größere Anziehungskraft. Der Versuch, den Teufel (Nationalsozialismus) mit dem Beelzebub (Austrofaschismus) auszutreiben, mißlang. Die moralische Legitimität hatte die österreichische Regierung bei vielen Menschen spätestens im Februar 1934 verloren. Zu spüren bekamen das natürlich vor allem die Vertreter dieses Staates vor Ort - die Exekutivorgane. Gerade im berüchtigten Zentrum der Nationalsozialisten in Vorarlberg, im "braunen Nest" Dornbirn, war eine durchschlagskräftige Gendarmerie vonnöten. Als sich die politische Situation dann dramatisch zuspitzte, beförderte man nicht zufällig den bis dahin in Hohenems wirkenden Hugo Lunardon zum Postenkommandanten der Stadt.
Dornbirn in den dreißiger Jahren
Wie die anderen großen Orte Vorarlbergs war auch Dornbirn schon im 19. Jahrhundert ein Zentrum der Auseinandersetzungen zwischen dem deutsch-nationalen und dem christlich-konservativen Lager. Erst zu Beginn des 20. Jahrhunderts wurde die christlichsoziale Partei zur bestimmenden politischen Kraft der Stadt. Sie blieb trotzdem weiterhin das Zentrum der Großdeutschen und der Liberalen, zumal diese hier ab 1891 mit Hilfe finanzkräftiger Fabrikanten eine eigene Zeitung, den "Vorarlberger Volksfreund", herausgeben konnten (3).
In Dornbirn gab es außerdem eine Reihe streng "national" ausgerichteter Vereine (Turnvereine, Gesangsvereine, Deutscher Schulverein, Verein Südmark usw.), die schließlich zu einer Art "politischer Infrastruktur" für die ab den frühen dreißiger Jahren erstarkende NSDAP der Stadt und des ganzen Landes wurden. Hans Nägele (4) brachte diese Tatsache auf die schlichte Formel: "Nirgends im ganzen Lande hat man die nationalen Vereine ... so werktätig unterstützt wie in Dornbirn" (5).
Es kann daher kaum verwundern, daß in der Stadt schon relativ früh (1924) eine Ortsgruppe der NSDAP gegründet worden war, die allerdings jahrelang nur eine sehr geringe Bedeutung im politischen Leben der Stadt hatte: Noch unterstützten die finanzkräftigen Herren der Stadt die Großdeutsche Partei. Das änderte sich in den Jahren ab 1932. Mit Anton Plankensteiner hatte ein Mann die Führung der NSDAP in Dornbirn übernommen, der sich selbst "mit Recht als Seele der nationalsozialistischen Bewegung in Vorarlberg und als legendärer Kämpfer" bezeichnete (6). Plankensteiner gelang es bald, in Dornbirn ein dichtes Organisationsnetz aufzubauen. Behördliche Untersuchungen ergaben im Jahre 1933, daß die Stadtorganisation der Partei in neun Sprengel, 27 Zellen und 128 Blocks eingeteilt war (7) und somit eine Organisationsdichte erreicht hatte, die es der Exekutive auch nach dem Parteiverbot vom 19. Juni 1933 fast unmöglich machte, die NSDAP wirkungsvoll zu bekämpfen.
Auch bei Wahlen zeigte sich das Erstarken der Partei, wenn auch nicht in dem Ausmaß, wie man es angesichts der bald im ganzen Land üblichen Bezeichnung Dornbirns als das "braune Nest" erwarten würde. Bei den Landtagswahlen im November 1932 erhielt die NSDAP in Dornbirn mit 1221 Stimmen und 13,6% zwar mehr als im Landesdurchschnitt (10,6%), in etlichen anderen Gemeinden fiel das Ergebnis für die Nationalsozialisten aber noch wesentlich günstiger aus. So erreichte die NSDAP beispielsweise in Götzis 19,6%, in Lustenau 19,7% und in Hittisau gar 23,2% (8).
Zum "braunen Nest" wurde Dornbirn in der Folgezeit offensichtlich durch die massive Unterstützung, die die ab Mitte 1933 illegale NSDAP von finanzkräftigen Sympathisanten erhielt. Ihnen war es möglich, auf die nichtnationalsozialistische Bevölkerung gewaltigen Druck auszuüben, der sich vor allem innerhalb der großen Textilbetriebe zeigte. Darauf wird später noch genauer einzugehen sein.
Auch die Formen der politischen Auseinandersetzung wurden zu Beginn der dreißiger Jahre in Dornbirn zunehmend gewalttätiger. Unterstützt von den mächtigen Eigentümern der großen Textilfirmen gingen die Nationalsozialisten dazu über, ihren Argumenten mittels Sprengstoff zum Durchbruch zu verhelfen. Ab Herbst 1933 waren Bölleranschläge in Dornbirn an der Tagesordnung. Der Landeshauptmann sah sich schließlich deswegen sogar genötigt, am 2. Oktober 1933 mit Dr. Adolf Straub von der Wiener Bundespolizei einen "Exponierten Politischen Kommissär" in die Stadt zu entsenden. Dr. Straub sollte der Dornbiner Exekutive im Kampf gegen die nationalsozialistischen Umtriebe zur Seite stehen und weitere Anschläge verhindern (9).
Doch auch Dr. Straub vermochte gegen die anscheinend übermächtige NSDAP nur wenig auszurichten, die Anschläge gingen jedenfalls weiter. In gut vorbereiteten und gezielten Aktionen explodierten am 10., 11., 12., 14., und 15. Oktober jeweils mehrere Böller gleichzeitig an verschiedenen Stellen im Stadtgebiet. Und auch im November wollte diese Serie nicht abreißen (10).
Die Behörden reagierten auf diese Anschläge, die meist begleitet waren vom Abbrennen sogenannter "Hakenkreuz-Höhenfeuer", durch die Verstärkung der Exekutive in der Stadt. Gendarmerie und Assistenzleute patroullierten zudem ständig im Stadtgebiet. Schließlich wurde sogar ein Zug Militär angefordert, um der Lage Herr zu werden (11). Diese Maßnahmen wurden begleitet durch die Herabsetzung der Sperrstunden in den "NS-Gasthäusern" auf 22 Uhr, schließlich sogar auf 19 Uhr. Nach neuerlichen Attentaten galt dann ab dem 13. November 1933 eine generelle Ausgangssperre ab 20 Uhr (12).
Den Terror allerdings konnten die Behörden mit all diesen Maßnahmen nicht wirklich eindämmen. Im Gegenteil: Immer gefährlichere Anschläge gegen zunehmend exponiertere Ziele mußten verzeichnet werden. Am 8. November 1933 war die Zentrale der Sozialdemokratischen Partei in der Viehmarktstraße Ziel eines Anschlags. Im Dezember kamen gar das gut bewachte Rathaus und die Wohnungen prominenter Heimatdienstfunktionäre und der bekanntesten "schwarzen" Politiker an die Reihe (13).
Als schließlich auch im Jänner 1934 kein Abflauen der NS-Aktivitäten festgestellt werden konnte, entschlossen sich die Behörden doch zu einem energischeren Vorgehen als bisher. Erstmals wurden einige Fabrikanten verhaftet, und auch der "Gauleiter" der illegalen NSDAP, der Bankbeamte Anton Plankensteiner, wurde am 15. Jänner 1934 festgenommen. Plankensteiner war nach einigen Anschlägen schon am 1. Jänner verhaftet, am 3. Jänner aber gegen Kaution wieder auf freien Fuß gesetzt worden (14).
Die Verhaftung Plankensteiners am 15. Jänner löste eine Reihe nationalsozialistischer Machtdemonstrationen aus, wie der Gendarmerieposten Dornbirn in einem Telefonbericht am Abend des 16. Jänner der Behörde in Bregenz mitteilte:
"Am 16. 1. 34 zwischen 21 Uhr und 22 Uhr dreißig wurden in Dornbirn an verschiedenen Orten im ganzen 18 bis 20 Böller abgeschossen. Unter anderem wurde ein Böller vor dem Gasthaus zum Engel im Oberdorf geworfen, wodurch 45 Fensterscheiben zertrümmert wurden und die Tochter Mina Scheiermaier, 19 Jahre alt, vor Schrecken einen Nervenschock erlitt. Ein weiterer Böller wurde auf die Terrasse des Wohnhauses des exponierten Sicherheitskommissärs Dr. Straub geworfen, wodurch 18 Fensterscheiben zertrümmert wurden und das in diesem Haus wohnhafte Dienstmädchen Anna Ofner durch Glassplitter an seiner Hand leicht verletzt wurde. Ein weiterer Böller wurde vor das Haus des Assistenzmannes August Kaufmann geworfen, der ebenfalls einige Fensterscheiben zertrümmerte" (15).
Als auf der Schwende an einer in der ganzen Stadt einsehbaren Stelle gegen 21 Uhr 30 ein Hakenkreuzfeuer abgebrannt wurde, war dies - wie schon am 12. November des Vorjahres - das Zeichen zur Kundgebung. Trotz des Ausgehverbotes versammelte sich gegen 22 Uhr am Marktplatz eine größere Menschenmenge, die von der Heimwehr nur dank des Eingreifens von Militäreinheiten gegen 23 Uhr wieder aufgelöst werden konnte (16).
Dornbirn war zwar nicht der einzige Ort in Vorarlberg, in dem es zu Anschlägen kam, die Stadt war aber diesbezüglich das eindeutige Zentrum. Als ab Anfang Juni 1934 die Terrorattentate immer bedrohlicher wurden, war wieder Dornbirn der Ausgangspunkt. Schwere Dynamitanschläge gegen das Spullerseekraftwerk und andere Einrichtungen der Bundesbahnen, gegen die Überlandleitungen der VKW und der Illwerke, gegen Straßenbrücken und Telefonleitungen usw. ließen die Vermutung aufkommen, daß es nicht mehr Einzeltäter waren, die hinter diesen Attentaten standen, sondern daß man es mit einer geschulten Truppe zu tun hatte. Der Sachschaden, den dieser Terror anrichtete, schädigte die österreichische Volkswirtschaft erheblich.
Die Exekutive und die NSDAP
Es war damals keineswegs selbstverständlich, daß Exekutivbeamte bei Ermittlungen gegen Nationalsozialisten mit besonderem Eifer zur Sache gingen. Aus verschiedenen Gemeinden des Landes kamen Klagen über Beamte, die gegen NS-Aktivisten nicht oder zumindest nicht energisch vorgingen (17). In diesem Zusammenhang verwundert es nicht, daß gerade auch der Posten Dornbirn immer wieder ins Kreuzfeuer der Kritik geriet. So beschwerte sich beispielsweise am 16. Oktober 1933 der Sekretär des Christlichen Arbeitersekretariates, der Geistliche Lorenz Dür, über vier namentlich angeführte Gendarmeriebeamte des dortigen Postens, weil diese seines Erachtens "besondere Aufmerksamkeit und Ergebenheit gegenüber den NS-Fabrikanten" an den Tag legten (18). Und auch aus dem Protokoll der Ortsparteileitungssitzung der Vaterländischen Front - der austrofaschistischen Einheitspartei - erfährt man einiges über die politische Situation und die Einstellung mancher Beamter. Schließlich heißt es in diesem Dokument:
"Die Bevölkerung ärgert sich ständig über die Gendarmerie... Wir verlangen gründliche Ordnung, sonst hört unsere Arbeit hier auf. In Bregenz versteht man die Verhältnisse in Dornbirn nicht. Es ist dringend notwendig, daß nach Dornbirn eine andere Exekutive kommt: 20 Bundespolizisten und eine Garnison" (19).
Schließlich wurden sogar die Zentralstellen in Wien aufmerksam. Der Vorarlberger Sicherheitsdirektor, Ludwig Bechinie, mußte einen Bericht an das Bundeskanzleramt in Wien verfassen und meinte darin bezüglich der Ursachen der für ihn schwierigen Situation in Dornbirn:
"Dornbirn war der Sitz der Großdeutschen, die fast in ihrer Gesamtheit ins nationalsozialistische Lager übergingen. Diesem gehörten die führenden Industriellenfamilien F.M. Hämmerle, F.M. Rhomberg und Herrburger und Rhomberg an. Dieser Führung war es nicht schwer, fast ganz Dornbirn und Umgebung in diese Richtung zu zwingen, waren doch Arbeiter, Gastwirte und Geschäftsleute aller Art von ihr abhängig. Die Abhängigkeit griff selbst auf das ganze Land über, da diese Familien reichlichst Wohltaten üben konnten. Zu den reichlich Beschenkten gehörte auch der Vorarlberger Heimatdienst... Auf diese Weise wurde das Land auch von der nationalsozialistischen Welle stark mitgerissen. Die Industrie, die sich durch die Aufrüstung Deutschlands große Vorteile versprach, vergaß ihre österreichische Zugehörigkeit zur Gänze. Die immer stärker werdende nationalsozialistische Welle hatte in der Industrie ihre geistige und finanzielle Stütze. Der gegen diese Bewegung einsetzende Kampf der Behörden auf Grund der Verordnungen war defensiv und wirkungslos und schuf eine Atmosphäre, in der die Bevölkerung nicht einmal mehr zu atmen wagte" (20).
Es gibt eine ganze Reihe von Gendarmerieprotokollen, die zeigen, wie real die Angst großer Teile der Bevölkerung vor der Allmacht der Industriellen war. Immer wieder kam es in den Dornbirner Betrieben zu politisch motivierten Entlassungen. Betroffen davon waren neben Kommunisten und Sozialdemokraten zunehmend auch Mitglieder der Vaterländischen Front und des Heimatdienstes (21).
In einer solchen Situation war es für Gendarmeriebeamte natürlich sehr schwer, ihren Auftrag, die Bekämpfung nationalsozialistischer Umtriebe, zu erfüllen. Von Hugo Lunardon aber erwarteten die vorgesetzten Behörden doch einige Erfolge.
Lunardons Tätigkeit stand unter keinem besonders günstigen Stern. Die Verhältnisse am Gendarmerieposten Dornbirn waren in politischer Hinsicht nicht so, daß er sich von jedem Beamten Unterstützung in seinem Vorgehen gegen die NSDAP erwarten konnte. Im Gegenteil: Etliche Beamte sabotierten den Kampf. Daraufhin wurden einige dieser Beamten in andere Orte Vorarlbergs versetzt, nicht immer zur Freude der dortigen Bevölkerung. So heißt es beispielsweise in einem Bericht der Bezirkshauptmannschaft Bregenz vom 17. Juni 1937, der an den Sicherheitsdirektor für Vorarlberg gerichtet war, daß die Beamten des Postens Schruns - zur Hälfte ehemalige Beamte des Postens Dornbirn - kaum verhüllte Nationalsozialisten seien:
"Die Verhältnisse beim Gendarmerieposten in Schruns sind daher unserer Ansicht nach unhaltbar. Gerade in die Gemeinde Schruns gehört ein vollständig verläßlicher Gendarmerie-Posten, der nicht nur die vaterländisch eingestellte Bevölkerung in ihrem Kampfe unterstützt, sondern auch den nötigen Einfluß auf die Beamten der übrigen Ämter ausübt, damit auch diese zu einer einwandfreien Einstellung gegenüber dem heutigen Österreich gezwungen werden. Wie bereits eingangs erwähnt, fehlt es diesbezüglich nicht nur bei Gericht und Gemeindeamt, sondern auch bei Steueraufsicht und Zollwache" (22).
Schwierige Verhältnisse also für nichtnationalsozialistische Beamte und den entsprechenden Teil der Bevölkerung.
Interessant ist in diesem Zusammenhang, daß unter anderen auch der ehemalige Stellvertreter Hugo Lunardons in Dornbirn, Franz Walch, zu den kritisierten Beamten gehörte.
Über die Tätigkeit Walchs in Dornbirn gibt es einige Hinweise. So ist der Chronik des - nationalsozialistischen - Dornbirner Turnvereins aus dem Jahre 1938 folgendes zu entnehmen:
"Zu Pfingsten 1934 wurden wir in anerkennenswerter Weise von unserem Turnkameraden, dem Gend. Insp. Walch vertraulich davon in Kenntnis gesetzt, daß die Beschlagnahme des Vereinsvermögens und die Einstellung unserer Tätigkeit durch die Behörden bevorsteht. Die Warnung kam zur rechten Zeit, denn alles traf richtig ein. Als Anlaß wurden die Vorkommnisse vor dem Rheingau-Verbandsturnfest benützt, bei dem bekanntlich Fahnenmasten umgeschnitten und Hakenkreuze in den Boden der Birkenwiese gegossen wurden" (23).
Man kann sich die schwierige Lage des Postenkommandanten Lunardon vorstellen, wenn man bedenkt, daß sein Stellvertreter das Dienstgeheimnis in dieser Form wahrgenommen hat. Der Dienststellenleiter der Stadtpolizei Dornbirn meinte, daß Walch wohl auch "anderweitig ihm zur Kenntnis gelangte Weisungen und Befehle von zuständigen Stellen an die Nazi-Kreise" weitergegeben habe (24).
Daß dem so war, geht aus anderen Quellen mit eindeutiger Sicherheit hervor. In einem Schreiben an die Gestapo-Zentrale in Innsbruck aus der Zeit unmittelbar nach dem "Anschluß" an Deutschland im März 1938 meint etwa die Bregenzer Dienststelle:
"Walch war einer den wenigen Gendarmeriebeamten, auf die sich die Nationalsozialisten wirklich 100prozentig verlassen konnten... In erster Linie hat er die SS mit Nachrichten versorgt, dann sind Fälle bekannt, in denen er Parteigenossen oder Anhänger der Partei aufmerksam machte, daß eine Hausdurchsuchung bevorstehe, oder sonst irgend eine Amtshandlung gegen sie eingeleitet sei, wodurch meistens eine Verabredung möglich wurde" (25).
Walch wurde aufgrund dieser "Verdienste" von den neuen Herren auch entsprechend mit einem neuen Posten belohnt. Als "Hauptverbindungsmann" zwischen der Gendarmerie und der Partei war er ab März 1938 beim Landesgendarmeriekommando in Bregenz tätig. Gleichzeitig wurde er auch zum "Untersuchungsbeamten bei der Sonderkommission" bestellt. In dieser Funktion hatte er gegen Gendarmeriebeamte vorzugehen, die sich in der Zeit vor der nationalsozialistischen Machtübernahme in irgendeiner Weise im Kampf gegen die NSDAP hervorgetan hatten. Als sogenannter "Untersuchungsbeamter" war er für die Maßregelung von nachweislich mindestens 25 Vorarlberger Gendarmen verantwortlich, wie aus einem von ihm selbst verfaßten Schreiben hervorgeht, das er am 5. Mai 1938 verfaßt hat (26). Walch war aber nur einer von mehreren Beamten, die am Posten Dornbirn eher für als gegen die Nationalsozialisten tätig waren.
Lunardons Kampf gegen den NS-Terror
Von der Einstellung verschiedener seiner Beamter wußte der im Jahre 1933 zum Postenkommandanten von Dornbirn beförderte Hugo Lunardon sehr bald und verhielt sich entsprechend. So ordnete er beispielsweise kurzfristige Hausdurchsuchungen an und hatte dabei schließlich auch Erfolge zu verzeichnen, denn die Nationalsozialisten waren sich ihrer Sache in vielen Fällen offensichtlich zu sicher geworden.
Bei einer solchen Hausdurchsuchung in den Morgenstunden des 22. Jänner 1934 im Büro der Mosterei Zumtobel fanden die Beamten im Panzerschrank der Firma Sprengmaterial, das in zwei braunen Paketen gelagert war. Die insgesamt 24 Dynamitpatronen und acht Sprengkapseln sowie etliche sogenannte "Papierböller" waren offensichtlich für Anschläge in Hohenems und Götzis bereitgehalten worden und stammten aus dem Deutschen Reich. Dieser Fund führte zur Verhaftung des bekannten Dornbirner Nationalsozialisten Dr. Otto Weiß, der als leitender Angestellter des Rechtsanwaltes und Firmeninhabers Dr. Anton Zumtobel in der Verwaltung der Mosterei beschäftigt war. Im auf diesen Vorfall folgenden Gerichtsverfahren erhielt Dr. Weiß vom Landesgericht Feldkirch eine sechsmonatige Kerkerstrafe, die vom Oberlandesgericht Innsbruck auf neun Monate erhöht wurde (27).
Am selben Tag wurden in Dornbirn auch einige andere Gebäude von der Gendarmerie genauestens untersucht - so etwa die Werkshallen der Firma Herrburger und Rhomberg, das Hotel Mohren und einige Privathäuser. Duchgeführt wurde diese Aktion bezeichnenderweise hauptsächlich von starken Gendarmeriekontingenten, die aus Innerösterreich zugezogen worden waren, und nicht von hiesigen Beamten, denen offensichtlich nicht alle Verantwortlichen ihr Vertrauen schenkten. Wesentlichen Anteil am Erfolg der Aktion aber hatte sehr wohl ein hiesiger Beamter - der Postenkommandant Hugo Lunardon. Er konnte mit der Verhaftung und Aburteilung von Dr. Otto Weiß, der als hochrangiger SS-Führer offenkundig von seinem Büro aus Terroraktionen im ganzen Land vorbereitet und befohlen hatte, einen ersten großen Erfolg feiern (28).
Wie bereits erwähnt, ging die Terrorwelle der NSDAP in den folgenden Monaten trotz dieses Erfolges der Exekutive weiter, ja es kam sogar zu einer ganzen Reihe von sogenannten "schweren Anschlägen", deren vornehmliches Ziel die Schädigung der österreichischen Volkswirtschaft war. Die Organisatoren dieser Anschläge saßen wieder in Dornbirn, und erneut war es die dortige SS, von der die Terrorakte organisiert und durchgeführt wurden. Alfons Mäser war es als Sturmbannführer gelungen, einen Trupp um sich zu sammeln, der bereit war, im ganzen Land entsprechende "Aktionen" durchzuführen. Viele der geplanten Anschläge mißlangen diesem sprengtechnisch nur mangelhaft ausgebildeten Trupp allerdings, was den Vorarlberger SS-Einheiten bei den offenbar "härteren" oder zumindest besser ausgebildeten Terroreinheiten in Tirol einen schlechten Ruf eintrug (29).
Was aber mit geglückten und nicht geglückten Anschlägen auch in Vorarlberg gelang, war, jenes Klima der Angst herzustellen, von dem sich die Nationalsozialisten gute Voraussetzungen für eine baldige Machtübernahme erhofften.
Mäser hatte erst Mitte 1933 die Führung der SS im Lande übernommen, nachdem deren Gründer Otto Wohlgenannt ins Deutsche Reich geflüchtet war. Bis Mitte 1934 war Mäser der Aufbau dann im großen und ganzen gelungen: Sein Sturmbann III (= Vorarlberg) bildete zusammen mit dem Sturmbann II (= Unterinntal) und dem Sturmbann I (= Oberinntal) die SS-Standarte 37. Der Sturmbann III bestand aus drei Stürmen und soll insgesamt zwischen ca. 250 (so Mäser bei einer Vernehmung nach seiner Verhaftung) und 485 (Bericht aus dem Jahre 1938) Mann gehabt haben (30).
Die Aufdeckung der Aktivitäten des Sturmbannes III war hauptsächlich das Verdienst Hugo Lunardons und des aus Altach stammenden Kriminalbeamten Anton König. In seinem abschließenden 75 Maschinschreibseiten langen Bericht (ohne die verschiedenen Beilagen) meinte Hugo Lunardon zur Verantwortlichkeit Mäsers:
"Bemerkt wird, daß der Sturmbannführer Mäser in seiner Funktion den Sturmbann drei der SS ... zu leiten hat und als solcher bestimmt alle Terroraktionen, soweit diese durch die SS durchgeführt wurden, angeordnet hat. Alfons Mäser gibt in seiner Rechtfertigung selbst zu, daß er den Auftrag hatte, am 9.6., 19.6. und 27.6.1934 Sprengstoffanschläge durchführen zu lassen. Auffallend ist, daß gerade an diesen Tagen im Lande Vorarlberg 19 Sprengstoffanschläge verübt wurden. Es unterliegt wohl keinem Zweifel, daß Alfons Mäser für sämtliche Anschläge die Aufträge erteilt und auch die Sprengstoffe dazu geliefert hat" (31).
Insgesamt 70 Männer der Dornbirner SS-Einheit konnten im Zuge der Untersuchungen ausgeforscht und verhaftet werden. 57 von ihnen wurden von der Bezirkshauptmannschaft Feldkirch aufgrund politischer Delikte abgeurteilt; gegen 13 SS-Männer wurde vor dem Schwurgericht in Feldkirch der Prozeß eröffnet: Alfons Mäser wurde zu 15 Jahren schwerem verschärftem Kerker verurteilt, die anderen erhielten ebenfalls Kerkerstrafen zwischen fünf und zehn Jahren. Dabei hatten sie noch Glück, denn aufgrund der gesetzlichen Bestimmungen hätte der Prozeß vor dem Standgericht in Wien durchgeführt werden müssen, was auch geplant war. Ein Standgerichtsverfahren hätte entsprechend der Gesetzeslage zumindest in einigen Fällen mit der Todesstrafe enden können. Das Standgericht Wien aber trat die Durchführung des Verfahrens an das ordentliche Gericht ab. Angeblich hatte der Tiroler Bischof zugunsten der SS-Männer interveniert (32). Rückblickend meinte am 11. März 1939 das nationalsozialistische "Vorarlberger Tagblatt" in bezug auf diesen Fall:
"Nur durch die Aufbietung aller Kräfte und ganz besonders durch die vielfachen ideellen und materiellen Bemühungen des Fräuleins Erika Rhomberg, der Mutter der SS, konnte von den 13 verhafteten Kameraden ... das Furchtbarste abgewendet werden" (33).
Hugo Lunardon wurde gemeinsam mit dem Kriminalbeamten Anton König vom obersten Exekutivbeamten Vorarlbergs, dem Sicherheitsdirektor, für seine Leistungen in diesem Fall für eine Auszeichnung vorgeschlagen. In einem Schreiben an das Bundeskanzleramt in Wien vom 25. Oktober 1934 hieß es unter anderem:
"Die Aufdeckung dieser Sprengstoffverbrechen ist der initiativen, pflichtbewußten, besonders umsichtigen und mühevollen Tätigkeit des Rev. Insp. Lunardon und des Krim. Insp. König zu verdanken" (34).
Aufgrund dieses Schreibens verlieh schließlich der Bundespräsident Wilhelm Miklas am 8. Jänner 1935 die "Österreichische Große Silberne Verdienstmedaille" an Hugo Lunardon (35).
Doch auch die Nationalsozialisten waren sich bewußt, wer einen Teil ihrer Aktivitäten erfolgreich bekämpft hatte, wer die Schuld daran trug, daß viele von ihnen - auch etliche "Prominente" - zum Teil langjährige Strafen verbüßen mußten. Als es daher Anfang März 1938 "mulmig" zu werden begann, rieten besorgte Freunde der Familie Lunardon, sie solle sich in die Schweiz absetzen. Hugo Lunardon aber lehnte solche Ansinnen strikt ab.
Der "Schutzhäftling Lunardon"
In der Nacht vom 11. auf den 12. März 1938 - deutsche Truppen standen einmarschbereit an der Grenze und die hiesige NSDAP übernahm die Macht - begann der letzte Abschnitt im Leben des damaligen Dornbirner Postenkommandanten. Nach dem Abendessen bereitete er seine Frau auf die kommenden Ereignisse vor: "Es wird eine schwere Nacht werden!" (36) Anschließend begab er sich an seine Dienststelle.
In Bregenz ging inzwischen der nun für die "Sicherheit" verantwortliche SS-Sturmbannführer Alfons Mäser daran, ehemalige Gegner in sogenannte "Schutzhaft" zu nehmen. Der damals in der Sicherheitsdirektion Dienst versehende Stellvertreter des Sicherheitsdirektors, Dr. Paul Jäger, berichtete am 18. November 1946, daß zwei Gendarmen in Uniform, beides ehemalige Beamte des Dornbirner Postens, vehement die Verhaftung Lunardons gefordert hätten. Einer dieser Beamten war Franz Walch, der seit dem 1. September 1937 als Kanzleibeamter beim Landesgendarmeriekommando in Bregenz Dienst versah (37). Dr. Jäger machte Alfons Mäser und den neuen Landeshauptmann Anton Plankensteiner darauf aufmerksam, daß es nicht angehe, einen Postenkommandanten durch untergeordnete Beamte verhaften zu lassen, dies müsse durch den Bezirksinspektor erfolgen:
"Schließlich erklärten sie sich damit einverstanden, und ich selbst habe dann den Bezirksinspektor Nenning damit beauftragt... Ich hatte von 1934 bis 1938 mit Lunardon sehr viel zu tun. Lunardon war Postenkommandant am heißesten Boden in Dornbirn und hatte damit auch den schwersten Stand. Er hat diesen schweren Dienst in geradezu vorbildlicher Weise versehen und war dadurch dem Haß der Nationalsozialisten ausgesetzt. Insbesondere ging das darauf zurück, daß es uns damals gelang, die gesamten Sprengstoffanschläge der SS im Jahre 1934 unter Führung des Mäser restlos aufzudecken. Dies dürfte wohl auch die Ursache unserer späteren jahrelangen Schutzhaft gewesen sein", eine Vermutung, die auch Lunardon im Konzentrationslager verschiedentlich geäußert habe (38).
Dr. Paul Jäger jedenfalls wurde seines Postens noch in derselben Nacht enthoben und verhaftet. Wie Lunardon wurde auch er im KZ Dachau inhaftiert. Der dritte Hauptbeteiligte an der Aufdeckung der SS-Aktivitäten, der Kriminalbeamte König, wurde gleichfalls noch am selben Abend in Haft genommen (39).
Lunardon wurde noch in der Nacht auf den 12. März 1938 nach Bregenz gebracht, da er - wie Pfarrer Georg Schelling in einem Bericht vermutet - in Dornbirn "seines Lebens wohl nicht ganz sicher gewesen wäre. In Bregenz wurde Lunardon etwas isolierter gehalten wie andere. Wie er mir später erzählte, hätte man ihm, wie übrigens allen anderen Organen der Exekutive, allzugerne einen Prozeß angehängt wegen Mißbrauch der Amtsgewalt durch Mißhandlungen. Die Schergen konnten aber nichts finden" (40).
Für die Familie des Inhaftierten, insbesondere aber für seine Frau, begann nun ein zweijähriger Kampf um das Familienoberhaupt. Noch in der Nacht vom 11. auf den 12. März kam es in der Wohnung der Familie zu einer Hausdurchsuchung - durchgeführt von ehemaligen Untergebenen des Postenkommandanten.
Neuer Kommandant des Postens Dornbirn wurde Lunardons ehemaliger Stellvertreter Franz Walch, der gleich auch die Wohnung seines Amtsvorgängers requirierte und die Frau samt ihren zwei Töchtern auf die Straße setzen ließ.
Olga Lunardon mußte schließlich froh sein, in Sulz unter bedrückenden Bedingungen unterzukommen (41). Da die Familie nach der Entlassung Lunardons aus dem Gendarmeriedienst, die mit 11.11.1938 vom Reichs Statthalter in Wien offiziell ausgesprochen worden war (42), nur mehr notdürftig versorgt werden konnte, mußte Frau Lunardon verschiedene Nebentätigkeiten ausüben. So half sie Bauern, hielt als gelernte Bäckerin entsprechende Kurse und entwickelte sich für die meist wenig schreibgewandten Bauern in ihrer Umgebung zu einer Art "Armen-anwältin". Die notwendigen Qualifikationen hierfür hatte sie sich durch den dreijährigen Besuch der "Privatlehrerinnenbildungsanstalt der Barmherzigen Schwestern zu Zams" erworben, die sie nach erfolgreich absolvierter Gesellenprüfung als Bäckerin besuchte. Als " Armenanwältin" schrieb sie gegen ein kleines Entgelt Ansuchen für Ernteurlaubsbewilligungen u.a.m. In besonderen Notzeiten war Olga Lunardon sogar gezwungen, das Gepäck der verstärkt ins Land kommenden KDF-Urlauber vom Bahnhof Sulz-Röthis mit einem Handwagen in deren Urlaubsdomizil nach Viktorsberg zu transportieren (43).
Einen Teil des damit erwirtschafteten Geldes konnte die ansonsten praktisch mittellose Frau gar nicht für sich bzw. ihre Töchter verwenden. Neben den vielen Geldüberweisungen an ihren Mann, der damit seine Situation im Konzentrationslager zumindest erträglicher gestalten konnte (44), mußte sie in den ersten Monaten sogar noch für die Haftkosten aufkommen, wie Rechnungen der Gefängnisverwaltung belegen (45). Auch noch nach der Überstellung Hugo Lunardons nach Innsbruck und schließlich nach Dachau erhielt seine Frau Rechnungen:
"Die Geheime Staatspolizei, Staatspolizeistelle Innsbruck, hat über Sie (Hugo Lunardon; der Verf.) in der Zeit vom 24.5. bis 30.5.1938 die Schutzhaft verhängt. Gemäß § 67 V.St.G werden Sie unter Hinweis auf den Erlaß des Bundeskanzleramtes Zl. 315, 545/GD 1 vom 10. April 1936 aufgefordert, die für die Dauer Ihrer Schutzhaft im Polizeigefangenenhause Innsbruck angelaufenen Vollzugskosten pro Tag RM 2,-- von insgesamt RM 12,-- binnen 14 Tagen mittels beiliegenden Posterlagscheines zu überweisen..." (46).
Nach Innsbruck war Hugo Lunardon gemeinsam mit einem anderen Vorarlberger überstellt worden: dem damaligen Kaplan und Chefredakteur des christlichsozialen "Vorarlberger Volksblattes" Georg Schelling. Dieser berichtet über die Vorgänge folgendes:
"Die Atmosphäre war in Innsbruck wesentlich schärfer und gehässiger als in Bregenz. Nachdem sich einige Tage nichts gerührt hatte, ging endlich die Türe auf, ein Arzt kommt herein, ruft unsere Namen auf und kratzte zwei Häckchen auf seine Liste. Mit dieser Formalität waren wir für transportreif erklärt und schon am Nachmittag ging es ab" (47).
Das Ziel dieser Reise war das Konzentrationslager Dachau bei München. Während der Fahrt durften die Häftlinge nicht reden, mußten die Hände auf die Knie legen und den Blick starr nach vorne richten. In München angekommen, wurde dieser aus 48 Häftlingen bestehende Trupp von SS-Männern aus Dachau übernommen:
"Die rohen Gesellen fragten einen jeden von uns, was wir 'ausgefressen' hätten. Wir waren an eine Kultursprache gewohnt und verstanden diese Ausdrucksweise zunächst noch gar nicht. Auch Lunardon wurde gefragt, was er 'ausgefressen' habe, das heißt, warum er verhaftet worden sei. Lunardon antwortete kühn und mit frischer Stimme 'Weil ich meine Pflicht getan habe'. Und schon hatte er einen Hieb. Später wurde er noch einmal gefragt. Lunardon blieb dabei, etwas gereizt antwortete er ' Ich habe nur meine Pflicht getan'. Jetzt gab es erst recht Funken" (48).
Für einige dieser Männer des ersten Transportes aus dem "Gau Tirol-Vorarlberg" in ein Konzentrationslager gab es schließlich sogenannte "Haftverschärfung" - auch für Lunardon und Schelling. Der sogenannte Kommandanturarrest" (KA) oder - wie es in der Lagersprache hieß - "Bunker" war besonders gefürchtet. "Nur ein Dachauer weiß, was das bedeutet", meinte beispielsweise ein anderer mit Lunardon und Schelling eingelieferter Häftling, der Tiroler Exekutivbeamte Erwin Gostner (49). Im Bunker gab es nur alle vier Tage Verpflegung:
"Die Zeit schleicht dahin. Ich zähle nur jeden vierten Tag und bin erstaunt, wenn das Essen kommt und mich weckt, denn ich befinde mich in einem Trancezustand" (50).
Lunardon war drei Monate von dieser grausamen Haftverschärfung betroffen, zusätzlich erhielt er am Peter und Paulstag des Jahres 1938 noch 25 Hiebe mit dem Ochsenziemer. Anschließend an diese drei Monate Einzelhaft im "Bunker" kamen die Häftlinge in die sogenannte "Isolierhaft" oder "Strafkompanie" (51). Die "Strafkompanie" war gekennzeichnet durch verschiedene Schikanen und ein hartes System von Bestrafungen. So waren die entsprechenden Häftlinge völlig vom übrigen Lager abgeschlossen, hatten Rauch- und Lektüreverbot und wurden nur mangelhaft ernährt.
Lunardons Frau versuchte immer wieder, die Lebensbedingungen ihres Mannes erträglicher zu gestalten. Neben den monatlichen Geldüberweisungen schickte sie ihm zu Weihnachten 1938 ein Lebensmittelpaket, das - wie einem Brief Hugo Lunardons aus Dachau zu entnehmen ist - diesem zwar gezeigt, aber nicht ausgehändigt wurde (52).
Seine Frau hoffte zur selben Zeit auf eine Amnestie für ihren Mann. Für alle Fälle ließ sie an der Haltestelle Sulz-Röthis ihr Fahrrad stehen und instruierte den dortigen Bahnwärter, falls ein "magerer, dunkelhaariger Mann" auftauche, solle er diesen mit dem Fahrrad zu ihr schicken: es müsse sich dann um ihren Mann handeln.
Unmittelbar nach den Feiertagen schrieb sie an den Kommandanten des Konzentrationslagers Dachau einen Brief mit der Bitte um Besuchserlaubnis:
"Wie Sie wahrscheinlich wissen, befindet sich mein Mann Hugo Lunardon, geb. 2.1.1893, Block 15, Stube 1, bei Ihnen, viel mehr unter Ihren Häftlingen. Da ich wegen einigen dringenden Familienangelegenheiten mit meinem Mann sprechen sollte, bitte ich Sie, Herr Kommandant, mir zu erlauben, im kommenden Monat einmal ihn besuchen zu dürfen. Ich hoffe, daß Sie so gütig sind und mir mit meinen kleinen Kindern dies gestatten..." (53).
Der Brief kam ohne Antwortschreiben zurück, versehen nur mit einem Stempelaufdruck:
"Besuch bzw. Sprecherlaubnis für in K.L.Dachau einsitzende Häftlinge kann grundsätzlich nicht gewährt werden" (54).
Eine daraufhin auf eigene Faust unternommene Fahrt von Olga Lunardon nach Dachau endete ebenfalls mit einem Mißerfolg. Damit ihr Mann aber wenigstens davon erfahre, daß sie in seiner Nähe gewesen war, überwies sie ihm vom Postamt Dachau aus RM 30,--.
Auch in den folgenden Monaten führte Olga Lunardon einen zähen Kampf um ihren Mann und erleichterte ihm durch ihre Geldsendungen nicht nur in materieller, sondern auch in ideeller Hinsicht sein Schicksal. Deutlich geht das aus einem Brief hervor, den Hugo Lunardon am 27. 8. 1939 an seine Frau schickte:
"Liebste Olga! Besten Dank für Deinen lb. Brief. Du nimmst also meinen Vorschlag, mir weniger Geld zu senden, nicht an. Ich kann Dir natürlich nur dafür danken. Ich bin nicht wenig überrascht über Deine Tüchtigkeit und Selbständigkeit. Ja es ist mir nahezu ein Rätsel, wie es Dir mit dem kargen Einkommen möglich war, Anschaffungen zu leisten, mich zu unterstützen und nebenbei noch Ersparnisse zu machen. Du kannst Dir vorstellen, daß mich das Bewußtsein Deiner vollen Tatkraft in meiner Lage vollauf beruhigt, weiß ich doch, daß Du in der Lage bist, Dich mit den lb. Kindern in den schwersten Situationen durchzuschlagen... Ich versichere Dir, lb. Olga, daß es mir an Mut nicht fehlt und ich versichert bin, daß auch uns wieder die Sonne scheinen wird" (55).
Die Endstation: das KZ Mauthausen
Dieser eher zuversichtliche Brief dürfte wahrscheinlich der letzte gewesen sein, den Hugo Lunardon aus Dachau nach Hause geschickt hat. Mit Kriegsbeginn wurde nämlich das KZ Dachau im September 1939 für einige Zeit geräumt. Die Insassen kamen in die Konzentrationslager Buchenwald, Flossenbürg und Mauthausen. "Dabei hatte Hugo Lunardon das Unglück, in das gefürchtete Lager Mauthausen zu kommen" (56).
Was Pfarrer Schelling im vorigen Zitat andeutet, war die Tatsache, daß Mauthausen nach einem Erlaß des Chefs der Sicherheitspolizei, SS-Obergruppenführer Reinhard Heydrich, als einziges Konzentrationslager die sogenannte "Lagerstufe III" erhalten hatte. Während etwa Dachau noch zur "Lagerstufe I" gezählt wurde und somit vorgesehen war "für alle wenig belasteten und bedingt besserungsfähigen Schutzhäftlinge, außerdem für Sonderfälle und Einzelhaft" (57), galt die schlechteste Kategorie, die allein Mauthausen erhielt, "für schwerbelastete, unverbesserliche und auch gleichzeitig kriminell vorbestrafte und asoziale, das heißt kaum noch erziehbare Schutzhäftlinge" (58) - so zumindest in der Sprache der Nationalsozialisten.
Schon relativ früh also, noch bevor in den großen Vernichtungslagern im heutigen Polen mit der sogenannten "Endlösung der Judenfrage" begonnen wurde, gab es mit Mauthausen ein Lager, in welchem die Häftlinge durch systematische Unterernährung und gleichzeitige Schwerstarbeit in den Granitsteinbrüchen der vorsätzlichen Vernichtung preisgegeben waren.
Für Frau Lunardon waren die Wochen im September und im Oktober 1939 voller Angst und Ungewißheit, denn sie wußte nicht, wohin ihr Mann gebracht worden war, ja sie wußte nicht einmal, ob er überhaupt noch am Leben war. Ein Bekannter gab der Frau dann den Tip, doch an das Lager Mauthausen zu schreiben, was sie schließlich auch tat:
"Liebster Hugo! Seit zwei Monaten habe ich von Dir nichts mehr erhalten. Ich habe so Schlimmes erwartet, daß ich nicht mehr im Stande war, klar zu denken, immer wieder fragten mich die Kinder 'Wo ist Papa' - ich konnte ihnen keine Antwort geben -- ich sagte 'Papa ist bei den Soldaten', sie glauben es heute noch und so ist auch ihr kleines Herz nicht auch noch voll Kummer um Dich.
Ich bekam vom Polizeiuniformamt eine Zuschrift: an Witwe O.L. und das war genug. Ich war jedoch schon soviel, schreibe dorthin - es kam zurück, ich möge diese irrtümliche Antwort entschuldigen.
Du bist also an der Donau 300 m ü.d.M. Arbeitest Du etwa in den Steinbrüchen? Solltest Du noch länger nicht schreiben, so muß ich annehmen, daß Du nicht darfst. Darf ich Dir nicht warme Unterwäsche od. Handschuh senden? Hoffentlich darf ich Dir auf Weihnachten auch senden. Bist Du gesund? Ich wüßte ja noch soviel, aber ich habe Dir nun schon einmal geschrieben, u. bekam keine Antwort.
Die einen sagten, Ihr seid in Polen, andere an der Westfront, andere im KZ Buchenwald, dann endlich sagte mir ein Herr von Feldkirch, ich soll mich an Mauthausen wenden u. nun weiß ich, daß Du lebst. Aber nicht mehr. Ich bitte Dich darum - schreib. Es grüßt und küßt Dich Deine Olga u. Kinder" (59).
Dieser ergreifende Brief kam nach einigen Tagen zurück mit dem Vermerk:
"Ihr Mann befindet sich hier. Ihr Mann darf vorläufig keine Post empfangen. Wenn Postempfang, so wird es Ihnen mitgeteilt" (60).
Frau Lunardon blieb also weiterhin im Ungewissen, aber die bösen Vorahnungen, die aus diesem Brief spürbar werden, sollten sich bald bewahrheiten. Zwar wurde ab Jänner 1940 die Schreiberlaubnis wieder erteilt, Hugo Lunardon hatte zu diesem Zeitpunkt aber nur noch wenige Wochen zu leben. Die ganze Not des offensichtlich schwerkranken Mannes wird deutlich aus einem seiner letzten Briefe aus dem Konzentrationslager Mauthausen vom 15. Jänner 1940; unter anderem teilt er darin in verschlüsselter Form auch seinen Gesundheitszustand mit:
"Du weißt ja, daß Olgas u. Trudis Vater krank ist u. unterstützt werden sollte, weil er kein Einkommen hat und Not leidet. Also lasse ihm 5-6 Kilo kräftige Lebensmittel, womöglich Fett zukommen, damit er sich erholen kann. Du weißt ja, daß er noch bis Ende des Monats zu Hause sein wird" (61).
Olga und Trudi waren die beiden Töchter des Ehepaares Lunardon, der kranke Vater somit er selbst. Solche Mitteilungen konnten für Häftlinge sehr gefährlich werden, da es streng verboten war, über die eigene Situation anderes als Positives zu berichten. Jeder Brief mußte von den Häftlingen zuerst der Poststelle des Konzentrationslagers Mauthausen vorgelegt werden. Schreiberlaubnis hatten die Häftlinge blockweise nur einmal im Monat (62).
In seiner umfangreichen "Geschichte des Konzentrationslagers Mauthausen" meint der ehemalige Häftling Hans Marsalek: "Nur wenige hatten den Mut und die Möglichkeit, getarnt durch Umschreibung über ihr seelisches und körperliches Befinden oder über die politische resp. militärische Situation zu berichten" (63). Die im Brief von Lunardon ausgesprochene Bitte um ein Lebensmittelpaket bezieht sich auf die Tatsache, daß Häftlinge in der Zeit vom 10. Dezember bis zum 10. Jänner ein Lebensmittelpaket erhalten durften (64).
Zusätzliche Lebensmittel waren überlebensnotwendig. Denn der Hunger herrschte im Lager und raffte jeden dahin, der sich nicht "außertourlich" etwas beschaffen konnte. Lunardons Leidensgefährte Erwin Gostner berichtet über die Zeit vor dem Winter 1939/40:
"Der Hunger machte sich auch bei mir bemerkbar, ich werde immer kraftloser, meine ursprüngliche Arbeitsleistung kann ich längst nicht mehr aufrechterhalten. Das geht übrigens allen so. Wozu wir früher eine Stunde brauchten, benötigen wir jetzt einen halben Tag. Es geht rapid bergab. Dabei steht der Winter vor der Tür... Meine Rettung ist eine Runkelrübenmiete in der Nähe meines Arbeitsplatzes. Ich esse die Rüben gleich an Ort und Stelle oder schneide sie in dünne Scheiben und stecke sie in die Socken. Denn erwischt werden darf ich nicht, sonst bekomme ich fünfundzwanzig! Der Speisezettel verzeichnet jetzt täglich Runkelrüben!" (65).
Wer nicht dieses Glück hatte, war im Winter den Unbillen der Witterung natürlich noch stärker preisgegeben: "Die Kälte macht uns völlig fertig, an den eisigen Werkzeugen bleibt die Haut in Fetzen hängen... Fast jeden Tag sterben mehrere" (66).
Im März 1940 kam schließlich auch für Hugo Lunardon das Ende. Über die Umstände seines Todes gibt es neben der amtlichen Mitteilung noch zwei Berichte. Erwin Gostner schreibt kurz:
"Der Vorarlberger Lunardon ist in seinem Block gestorben, er ist regelrecht verhungert" (67).
Pfarrer Schelling berichtet, er habe erst im Dezember 1940, als er von Buchenwald nach Dachau zurückkam, von Alfons Kothbauer, einem weiteren Vorarlberger, der mit Lunardon von Dachau nach Mauthausen überstellt worden war, etwas Genaueres über die Umstände bei Lunardons Tod erfahren. Demnach starb Lunardon von Hunger ausgemergelt, völlig erschöpft und entkräftet im Steinbruch. Da er nicht mehr habe arbeiten können, sei er von einem SS-Hauptscharführer geschlagen worden und daraufhin erst recht arbeitsunfähig gewesen:
"Kameraden legten ihn etwas abseits hinter eine Bauhütte. Der Hauptscharführer befahl aber, daß er in den Schnee gelegt werde. Lunardon hatte noch den Schneid und die Kraft zu antworten 'Jeder Hund, der fühlt, daß er eingeht, sucht sich einen stillen Platz aus. Ihr laßt uns nicht einmal wie einen Hund sterben.'
Nach einiger Zeit sagte er noch 'Alfons, Du kommst vielleicht noch heim, grüße mir Frau und Kinder'" (68).
Zwei Tage nach dem Tod wurde Olga Lunardon per Telegramm informiert:
"Ehemann heute im Lager gestorben. Näheres durch Polizei" (69). Der Gendarmerieposten Weiler übernahm diese Verständigung der Witwe und berichtete den Vollzug anschließend an die Gestapo Bregenz:
"Laut telefonischer Mitteilung der Geheimen Staatspolizei Grenzpolizeikommissiariat in Bregenz vom 16.3.1940 vormittags ist der ehem. Gend. Rev. Insp. Hugo Lunardon am 14.3.1940 um 17 Uhr 15 im Lager Mauthausen an Herzmuskelschwäche gestorben. Es wird gebeten, die Frau des Verstorbenen hiervon zu verständigen. Auf Grund einer amtsärztlichen Verordnung ist eine Besichtigung der Leiche nicht statthaft. Die Leiche wird im Krematorium Steyr, Oberdonau, eingeäschert. Gegen eine Überführung der Urne auf Kosten der Angehörigen bestehen keine Bedenken. Zutreffendenfalls haben sich diese mit dem Krematorium direkt in Verbindung zu setzen" (70).
Obwohl sie natürlich ständig zu erwarten war, bedeutete die Todesanzeige für Olga Lunardon einen schweren Schlag, den sie nicht so einfach hinnehmen wollte. In Feldkirch verkaufte sie das letzte Wertvolle, das sie noch besaß: eine zwanzigbändige Brockhaus-Ausgabe. Mit dem Erlös fuhr sie samt ihren Kindern nach Mauthausen, um wenigstens noch den Ort zu sehen, an welchem ihr Mann die letzten Monate seines Leben verbringen mußte. Als sie schließlich vor dem Krematorium in Steyr stand, wo vom 5. September 1938 bis zum Mai 1940 alle Leichen aus dem KZ Mauthausen eingeäschert wurden (71), sah sie einen Wagen voll unbekleideter Häftlingsleichen. Unter diesem Eindruck lehnte sie die Übernahme der Urne mit der angeblichen Asche ihres Mannes ab. Allzu unwahrscheinlich schien es ihr, daß sich darin wirklich die Asche des Häftlings mit der Nummer 14.363 befand, der laut Totenbuch Mauthausen an "Herzfehler" und "Herzmuskelschwäche" gestorben war (72).
Kurzer Epilog
Es ist ein leidiges Kapitel österreichischer Nachkriegsgeschichte, daß - wie in vielen anderen Fällen - auch im Falle Lunardon nach 1945 keine konsequenten Bemühungen um die Aufklärung der Frage, wer für die Einweisung in das Konzentrationslager verantwortlich war, stattfanden.
Es bleibt zu hoffen, daß wenigstens in den Reihen der Gendarmerie nach der Befreiung Österreichs ein anderer Geist spürbar wurde bzw. spürbar ist, als dies in der Zeit vor 1945 zumindest zum Teil der Fall war. Festgehalten muß aber werden, daß die Erinnerung an Hugo Lunardon in der Gendarmerie heute kaum mehr eine Rolle spielt: Keine Gedenktafel erinnert an diesen Beamten, ja nicht einmal eine Gedenkfeier wurde in den letzten vierzig Jahren für ihn abgehalten.
Ein deutlicher Gesinnungswechsel fand hingegen am Posten Dornbirn statt, zumindest wenn man der Chronik des dortigen Postens Glauben schenkt. Unter dem Titel "Befreiung Österreichs, Vorgänge in der Gendarmerie" heißt es unter anderem, daß im Kampf gegen die nationalsozialistische "Fremdherrschaft" zum Teil "die besten Kameraden aus den Reihen der Gendarmerie den Henkern der nat. soz. Gewaltdiktatur zum Opfer (fielen) und ... Blutzeugen des Kampfes um die Befreiung Österreichs (wurden). So wurde der mehrjährige Kommandant des Postens Dornbirn, Rev. Insp. Hugo Lunardon - er war wohl einer der besten Gendarmen Vorarlbergs und der härteste Kämpfer gegen die nat. soz. Weltgefahr -,als politischer Häftling im Konzentrationslager Mauthausen zu Tode gemartert. Sein Sterben durch die Mörderhand des nat. soz. Regimes bedeutete für die österr. Gendarmen Vorarlbergs Ansporn im Vernichtungskampfe gegen eine verhaßte faschistische Diktatur, die die Methode: 'Willst du nicht mein Bruder sein, schlag ich dir den Schädel ein', im wahrsten Sinne des Wortes kraß und offen zur Anwendung brachte" (73).
Anmerkungen
1) Ohne die Unterstützung durch Frau Olga Lunardon und ihre Tochter, Frau Olga Walser, wäre die vorliegende Arbeit nicht zustande gekommen; auch Herr Gend. Kontr. Insp. i. R. Albert Kräutler hat mich tatkräftig unterstützt; ihnen allen sei hiermit herzlichst gedankt.
2) Auskunft des Landesgendarmeriekommandos für Tirol vom 6.8.1986
3) vgl. Haffner, Leo: Die Kasiner. Vorarlbergs Weg in den Konservativismus. Bregenz 1977
4) vgl. den Artikel von Werner Bundschuh in diesem Band.
5) Nägele, Hans: Toni Plankensteiner, MS, 39 Seiten, Kopie im Besitz des Verf., hier S. 3
7) VLA, Präsidial, Zl.596-1/1933
8) eigene Berechnungen nach VV, 7.11.1932
9) vgl. Walser, Harald: Die illegale NSDAP in Tirol und Vorarlberg 1933-1938 (= Materialien zur Arbeiterbewegung Nr. 28). Wien 1983, hier S. 90
10) VLA, BHF/PED, Faszikel Nationalsozialismus, 1933
11) AVA, BKA-22/Vbg., 1918-1933, Karton 5.169
13) VLA, BHF/PED, Faszikel Nationalsozialismus, 1933
15) VLA, Präsidial, Zl.17/1934
16) Weinzierl, Walter: Chronik der illegalen Zeit, MS, 139 Seiten, Kopie im Besitz des Verf., hier S. 29
17) VLA, Präsidial, Zl.308/1938
19) VLA, Präsidial, Zl. 1.033/1933
20) AVA, BKA-22/Vbg., 1934, Karton 5.170
23) zitiert nach einem Bericht der Stadtpolizei Dornbirn vom 9.3.1946; LGF Vr 226/47
29) Interview mit Christian Neyer, 17.1.1986, Bludenz
30) vgl. Walser (Anm. 9), S. 66
32) vgl. Weinzierl (Anm. 16), S. 66
34) AVA, BKA-22/Vbg., 1934, Karton 5.170
35) Nachlaß Hugo Lunardons, Kopie in DMG
36) Interview mit Olga Lunardon, 5. 8. 1986, Rankweil
39) Johann-August-Malin-Gesellschaft (Hg.): Von Herren und Menschen. Verfolgung und Widerstand in Vorarlberg 1933-1945. Bregenz 1985, S. 308 und 314
40) Schelling, Georg: Zum Tode Hugo Lunardons im Konzentrationslager, MS, 8 Seiten, Kopie im Besitz des Verf., hier S. 2f.
41) OFA, Hugo Lunardon; weiters ein Brief von Olga Lunardon an das Landesgendarmeriekommando vom 20.2.1966, Kopie im Besitz des Verf.
42) Landesgendarmeriekommando für Vorarlberg, Personalakt Lunardon
44) Kopien der Zahlungsbelege im Besitz des Verf.
45) Kopien im Besitz des Verf.
46) Schreiben der Gestapo an Olga Lunardon, Kopie im Besitz des Verf.
49) Gostner, Erwin: 1000 Tage im KZ. Ein Erlebnisbericht aus den Konzentrationslagern Dachau, Mauthausen und Gusen. Mannheim 1946, S. 27
51) vgl. Schelling (Anm. 40), S. 6
53) Kopie des Schreibens im Besitz des Verf.
55) Kopie des Schreibens im Besitz des Verf.
57) Marsalek, Hans: Die Geschichte des Konzentrationslagers Mauthausen. Dokumentation. Wien 1980, S. 39
59) Kopie des Schreibens im Besitz des Verf.
61) Kopie des Schreibens im Besitz des Verf.
62) vgl. Marsalek (Anm. 57), S. 55
69) Landesgendarmeriekommando für Vorarlberg, Personalakt Lunardon
71) vgl. Marsalek (Anm. 57), S. 209
72) Archiv des Öffentlichen Denkmals und Museums Mauthausen, Mikrofilm "Totenbuch", Nr. 1152