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Werner Bundschuh (2011): Der 5. Mai – der unbekannte nationale Gedenktag

Am 11. November 1997 beschloss der österreichische Nationalrat einstimmig, den 5. Mai, den Tag der Befreiung des Konzentrationslagers Mauthausen, fortan jährlich als nationalen "Gedenktag gegen Gewalt und Rassismus im Gedenken an die Opfer des Nationalsozialismus" zu begehen. Dennoch ist er bis heute weitgehend unbekannt, nicht im kollektiven Bewusstsein verankert.

 

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Werner Bundschuh

Der 5. Mai – der unbekannte nationale Gedenktag


Erschienen in KULTUR – Zeitschrift für Kultur und Gesellschaft, Nr. 4/2011, Mai 2011, S. 70-71


Am 11. November 1997 beschloss der österreichische Nationalrat einstimmig, den 5. Mai, den Tag der Befreiung des Konzentrationslagers Mauthausen, fortan jährlich als nationalen "Gedenktag gegen Gewalt und Rassismus im Gedenken an die Opfer des Nationalsozialismus" zu begehen. Das Problem: Der dritte nationale Feiertag – neben dem 1. Mai und dem 26. Oktober – ist im kollektiven Bewusstsein nicht verankert, er ist völlig unbekannt. Heuer wird im Metro-Kino der Film „Herrenkinder“, im „Theater am Saumarkt“ der Warschauer Ghettofilm „A Film Unfinished“ gezeigt.

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Von der "Opfer-These" zur "Mittäter-These"


In Österreich herrschte nach 1945 über viele Jahre hinweg die Vorstellung, dass Österreich das erste Opfer des Nationalsozialismus gewesen sei. Die Erinnerung an den Nationalsozialismus war zumeist von der Erinnerung an das Leid der Soldaten und an das durch Krieg und Not bestimmte Elend der Zivilbevölkerung geprägt. Für die Erinnerung an die Opfer von rassistischer, menschenverachtender und faschistischer Verfolgung war dabei nur selten Platz. Erst im Laufe der Neunzigerjahre trat an die Stelle der so genannten „Opfer-These“ verstärkt die „Mittäter-These“.

Dass im Jahre 1997 der Nationalrat einstimmig den "Gedenktag gegen Gewalt und Rassismus im Gedenken an die Opfer des Nationalsozialismus" beschlossen hat, steht im Kontext dieser Veränderung des Geschichtsbewusstseins und darf nicht isoliert von der internationalen Entwicklung gesehen werden: Seit 1996 wird in Deutschland am 27. Januar offiziell der Opfer des Nationalsozialismus gedacht. Am 27. Jänner 1945 befreiten die sowjetischen Truppen Auschwitz. 2005 beschloss auch die Generalversammlung der Vereinten Nationen (UN), diesen Tag international zum Holocaust-Gedenktag zu machen.[1]

Bedenken gegen "Holocaust-Gedenktag"


Österreich ging einen anderen Weg und wählte den 5. Mai, den Tag der Befreiung des KZ Mauthausen durch die amerikanischen Truppen. Warum sich Österreich für diesen Tag entschieden hat, hat der Grazer Historiker Gerald Lamprecht analysiert.[2] 

Im Juni 1995 forderte das Europäische Parlament von allen Mitgliedsstaaten die „Einführung eines europäischen Holocaust-Gedenktages". In der Entschließung hieß es, dass „der seit 1945 in Westeuropa bestehende Frieden nur erhalten werden kann, wenn verhindert wird, dass die totalitäre und rassistische Ideologie der Nazis, die zum Holocaust an den Juden, zum Völkermord an den Roma und Sinti, zum Massenmord an Millionen anderen und zum Zweiten Weltkrieg geführt hat, ihren verderblichen Einfluss ausüben“ könne. Die Mitgliedstaaten wurden aufgefordert, Strategien zur Bekämpfung "von Rassismus und Fremdenfeindlichkeit, Antisemitismus und Leugnung des Holocaust" zu entwickeln. Deutschland reagierte prompt und proklamierte den "Auschwitz-Befreiungstag" zum „Tag des Gedenkens an die Opfer des Nationalsozialismus“.

Vor allem die "grüne" Nationalratsabgeordnete Terezija Stoisits bemühte sich um die Etablierung eines solchen nationalen Holocaust-Gedenktages am 27. Jänner auch in Österreich. Doch die Widerstände waren groß: Sowohl Kardinal Christoph Schönborn als auch Bundespräsident Thomas Klestil äußerten ihre Bedenken gegen einen „Holocaust-Gedenktag“. Auch Bundeskanzler Franz Vranitzky hielt nicht viel von dieser Initiative und wollte vermeiden, dass „ein künstlicher Gedenktag kommt, der von der Bevölkerung nicht wirklich wahrgenommen wird“.

Als Vorsitzender des „Kuratoriums des Nationalfonds der Republik Österreich für Opfer des Nationalsozialismus“ koordinierte der heutige Bundespräsident Heinz Fischer die Bemühungen um den "Holocaust-Gedenktag", und bald war klar, dass der "27. Jänner" keine parlamentarische Mehrheit finden würde. Die Parteien einigten sich schließlich auf den "5. Mai". Der österreichische Kompromiss bestand darin, in der Namensgebung auf die Nennung des „Holocausts“ zu verzichtet. Und auch der Zusatz „im Gedenken an die Opfer des Nationalsozialismus“ wurde erst nach erheblichem Druck der „Grünen“ in den Namen aufgenommen werden.

Kompromiss: "Gedenktag gegen Gewalt und Rassismus im Gedenken an die Opfer des Nationalsozialismus"


Vergleicht man allerdings den Nationalratsbeschluss von 1997, so steht er durchaus im Einklang mit den Zielsetzungen des „International Day of Commemoration to honour the victims of the Holocaust“, der 2005 von der Uno beschlossen wurde:

„Der 5. Mai – der Tag der Befreiung des Konzentrationslagers Mauthausen – möge in Österreich im Gedenken an die Opfer des Nationalsozialismus als Gedenktag gegen Gewalt und Rassismus begangen werden. Der Nationalrat ersucht daher die Bundesregierung, die in diesem Zusammenhang erforderlichen Veranlassungen zu treffen.

Insbesonders erscheint es dem Nationalrat erforderlich zu sein, in den Schulen, innerhalb des österreichischen Bundesheeres sowie beim Zivildienst auf diesen Gedenktag in geeigneter Weise Bedacht zu nehmen, um die Sensibilität gegenüber den verschiedenen Formen der Gewalt zu wecken und zu verstärken.

Darüber hinaus möge an die Länder und Gemeinden herangetreten werden, damit auch von den Gebietskörperschaften im Gedenken an die Opfer des Nationalsozialismus und an die Befreiung des Konzentrationslagers Mauthausen der 5. Mai als Gedenktag gegen Gewalt und Rassismus wahrgenommen wird.

Auch der Nationalrat wird in Zukunft jedes Jahr diesen Gedenktag in einer besonderen Weise begehen.

Mit diesem Schritt schließt sich die Republik Österreich einer europäischen Initiative an und bringt damit zum Ausdruck, daß sie die Idee eines Gedenktages an die Opfer des Nationalsozialismus auch auf europäischer Ebene mit großem Nachdruck unterstützt.“


Gedenktag im Bewusstsein stärker verankern


Der Wille war da  – bei der Umsetzung allerdings hapert es bis heute. Letztes Jahr hielt der Vorarlberger Landtag zum ersten Mal am 5. Mai eine feierliche Sitzung ab, heuer wurde darauf verzichtet.

Der "5. Mai", an dem nicht schulfrei ist, ist im kollektiven Gedächtnis noch nicht angekommen. Im Auftrag des Unterrichtsministeriums bemüht sich _erinnern.at_ , diesen Gedenktag an den österreichischen Schulen stärker zu verankern – ein Unterfangen, das unter den bestehenden Rahmenbedingungen nur teilweise erfolgreich sein kann.

Am 4./5. Mai zeigen das "Filmforum Bregenz“ und das "Theater am Saumarkt " in Kooperation mit der „Grünen Bildungswerkstatt", der Johann-August-Malin-Gesellschaft, der "Arbeitsgemeinschaft Sozialismus und Christentum" und mit _erinnern.at_  zwei besondere Filme. die Vorarlberger Jugendhäuser führen ein "Antirassismus-Projekt" mit Vorträgen, Diskussionen und Lesungen durch und organisieren eine Fahrt zur Euthanasie-Gedenkstätte Schloss Hartheim.

"Herrenkinder: Glauben - Gehorchen - Kämpfen:
Kindheit in der Napola"


Im Metro-Kino in Bregenz wird am 5. Mai der Film „Herrenkinder. Glauben – Gehorchen – Kämpfen: Kindheit in der Napola“ gezeigt. Der aus Bregenz stammende  Regisseur Eduard Erne wird anwesend sein und mit dem  Psychotherapeuten Dr. Günther Rösel über den Film ein Gespräch führen. Der Film von Eduard Erne und Christian Schneider (2009) behandelt den Missbrauch von Kindern  in den „Führerschulen“ und untersucht die "psychische Erbschaften", die diese Erziehung in den Familien hinterlassen hat. Von 1933 – 1945 gab es rund vierzig "Nationalpolitische Erziehungsanstalten", in der die künftige NS-Elite unter der Devise "Gelobt sei, was hart macht!" zu „Herrenmenschen“ erzogen wurde. Viele ehemalige Schüler bekleideten nach 1945 wichtige Posten in Wirtschaft, Politik und Kultur. In diesem Film kommen u.a. der ehemalige Herausgeber der "ZEIT", Theo Sommer, der Literaturkritiker Hellmuth Karasek, der Dirigent Joachim Carlos Martini oder der ehemalige österreichische  FPÖ-Justizminister Harald Ofner zu Wort. Wie sich diese NS-Erziehung ausgewirkt hat, ist Thema dieses Filmes.

"A Film Unfinished - Shtikat Haarchion - Geheimsache Ghettofilm"


Am 4. Mai wird im „Theater am Saumarkt“ „A Film Unfinished – Shtikat Haarchion – Geheimsache Ghettofilm“ gezeigt. Die israelische Regisseurin Yael Hersonski hat den im Deutschen Bundesarchiv aufbewahrten Rohschnitt eines nationalsozialistischen Propagandafilms über das Warschauer Ghetto zum Gegenstand eines Films gemacht. Die Aufnahmen, die als „Geheime Kommandosache“ deklariert waren, wurden 1956 in der DDR gefunden und für die Nutzung weitgehend gesperrt. Ausschnitte davon wurden 1968 unreflektiert in eine BBC –Dokumentation eingebettet. Zahlreiche Bilder aus diesem Film finden sich heute in Publikationen über das Warschauer Ghetto. Sie prägen ganz maßgeblich "unser Bild von der Judenverfolgung".

Der Film ist sicher nicht unproblematisch, da er die Sicht der NS-Propagandisten einnimmt. Es bedarf einer Dekodierung dieser Filmsequenzen. Hanno Loewy, Direktor des Jüdischen Museums Hohenems und Filmwissenschaftler, dessen Bruder hatte die historische Beratung beim Film inne, wird an diesem Abend in die Thematik einführen.

In Warschau lebte vor dem Krieg die größte jüdische Gemeinde in Europa. Die Ghetto-Bewohner wurden 1942 unmittelbar vor den ersten Deportationen ins Vernichtungslager Treblinka vor die Kameras von Sonderberichterstattern der deutschen Wehrmacht gezwungen. Es ist der längste Propagandafilm, der im Warschauer Ghetto gedreht wurde, aber unvollendet blieb. An der Vernichtung der Ghettobewohner in Treblinka wirkte auch ein Vorarlberger maßgeblich mit: KZ-Kommandant war dort der aus Bregenz stammende Arzt Dr. Irmfried Eberl.

Die verstärkte Verankerung des „5. Mais“ im öffentlichen Bewusstsein ist nicht nur eine Aufgabe in den Schulen. Aber dort tut sie besonders not, denn die Erinnerung an den Holocaust und die Auseinandersetzung mit dem Nationalsozialismus soll die Jugendlichen gegenüber den verschiedenen Formen der Gewalt sensibilisieren. Die Auseinandersetzung mit dem "5.Mai" soll das Wissen um die Folgen von Rassismus, Antisemitismus und dem Verlust demokratischer Grundwerte stärken. Damit soll die Basis für ein „Nie-Wieder“ gelegt werden. Der aktuelle Jahresbericht von ZARA (2010) [3] zeigt in erschreckender Weise, wie sehr rassistische Diskriminierungsmuster zunehmen, welcher Grad von Islamophobie bereits herrscht und welche rechtsradikalen Hasstiraden „im Netz“ alltäglich geworden sind.


Veranstaltungen zum 5. Mai:

Der Dokumentarfilm  „A Film Unfinished“. Shtikat Haarchion – Geheimsache Ghettofilm" wird im „Theater am Saumarkt“ am 4. Mai um 20 Uhr gezeigt. Der Direktor des Jüdischen Museums Hohenems, Dr. Hanno Loewy, wird in den Film einführen und mit dem Publikum diskutieren.

Im Rahmen eines Projektes der Vorarlberger Jugendhäuser zum nationalen Gedenktag hält Werner Bundschuh im Jugendhaus Between am 4. Mai um 19 Uhr zum Thema "Was hat der 5. Mai mit uns zu tun?" einen Vortrag. Das Projekt erfolgt in Zusammenarbeit von Between, KOJE, Offene Jugendarbeit Feldkirch, Mädchenzentrum Amazone, OJAD, Vorarlberger Jugendwohlfahrt, Johann-August-Malin-Gesellschaft und _erinnern.at_

Metro Kino Bregenz: 5. Mai 2011, 19 Uhr: Der Filmclub Bregenz zeigt in Zusammenarbeit mit _erinnern.at_, der „Johann-August-Malin-Gesellschaft“, der „Grünen Bildungswerkstatt“ und der „Arbeitsgemeinschaft Christentum und Sozialdemokratie“  am 5. Mai 2011 um 19 Uhr im Metro Kino Bregenz den Film "Herrenkinder. Glauben – Gehorchen – Kämpfen: Kindheit in der Napola“.

Der Filmemacher Eduard Erne wird an diesem Abend anwesend sein. Sein Gespräch mit dem Publikum wird Dr. Günther Rösel (Psychotherapeut) moderieren.

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[1]     Siehe dazu: http://www.erinnern.at/bundeslaender/oesterreich/gedenktag-5-mai

[2]     Gerald Lamprecht: Der Gedenktag 5. Mai im Kontext österreichischer Erinnerungspolitik (Erinnerungskulturen, herausgegeben vom Forum Politische Bildung, Informationen zur Politischen Bildung, Bd. 32, Innsbruck–Wien–Bozen 2010, S. 30–38)

[3]     ZARA-Report 2010 – http://www.zara.or.at/index.php/archiv/4229



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