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Harald Walser (1984): "... nicht die Letzten?" Der "Fall Beer" und die Vorarlberger Kulturpolitik

Von der Vorarlberger Landesregierung hochgefeiert und hochdotiert: die Schriftstellerin Natalie Beer, Vorarlbergs literarisches Aushängeschild der Nachkriegszeit bis in die achtziger Jahre. Dann bekannte sie sich in einem ORF-Interview frank zum "geistigen Erbe" des Nationalsozialismus - das sie in ihrem Schaffen nie verleugnet hatte. Ein Lehrstück zur Kulturpolitik nach 1945 und zum kulturellen Erbe der NS-Zeit.

 

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Harald Walser

»... nicht die Letzten?«

Der »Fall Beer« und die Vorarlberger Kulturpolitik

 

Erschienen in: Allmende. Eine alemannische Zeitschrift, Heft 9, 1984, S. 169-174

 

Es muß schon einiges passieren, bis es in Vorarlberg zu Auseinandersetzungen und Diskussionen über Literatur bzw. Literaten kommt, bis sich die Öffentlichkeit - vom »Mann auf der Straße« über die Medien bis zum Landtag - in hitzigen Wortgefechten über die »heimische Szene« ereifert. Letzthin war es der Fall. Mit Gertrud Fussenegger, Eugen Andergassen und Natalie Beer wurden drei Schriftsteller mit der erstmals verliehenen »Franz Michael Felder-Medaille« ausgezeichnet, deren politische Vergangenheit der radikaldemokratischen Einstellung eines Franz Michael Felder wohl kaum gerecht wird. Dies hätte außer einer kleinen Minderheit jedoch wohl kaum jemanden im Lande gestört, zumal politische Lernprozesse auch Dichtern zuzubilligen sind. Gertrud Fussenegger, einst mit Hitler-Panegyrik beschäftigt und illegal für die NSDAP tätig, hat beispielsweise Ehrungen durch die reaktionäre Konrad-Adenauer-Stiftung abgelehnt.

Doch bei Natalie Beer trifft das genaue Gegenteil zu: »Wir sind nicht die Letzten von gestern, sondern die Ersten von morgen«, so das Motto der rechtsextremistischen Kommentare. Keine Lektüre für Bonzen und Parasiten. Am 2. Juli 1983 sendete der Österreichische Rundfunk ein Interview mit der Vorarlberger Schriftstellerin. Das darin ausgesprochene Bekenntnis Beers zum nationalsozialistischen Gedankengut im allgemeinen und zu Adolf Hitler im besonderen, die Abschwächung und teilweise Leugnung der Judenverfolgung bzw. -Vernichtung, die Behauptung, Österreich sei keine wirkliche Demokratie, diese und andere Aussagen der Achtzigjährigen sorgten für einen Skandal. Denn Natalie Beer ist nicht irgendwer, sie ist die höchstausgezeichnete Schriftstellerin des Landes, sie ist die einzige Schriftstellerin, die monatlich von der öffentlichen Hand ohne irgendwelche Bedingungen einen stattlichen Betrag erhält, und sie ist Trägerin hoher Auszeichnungen. Sie erhielt - den »Ehrenring dem deutschen Gedicht« (München 1967) - den »Boga-Tinti-Lyrikpreis« (Wien 1973) - das »Silberne Ehrenzeichen« des Landes Vorarlberg (1975) - den Titel »Professor« durch den Bundespräsidenten (1977) - den »Goldenen Ehrenring« der Marktgemeinde Rankweil (1978) - die »Franz Michael Felder-Medaille« (1983).

Anläßlich der Verleihung der Franz Michael Felder-Medaille im Mai 1983 betonte Landeshauptmann Dr. Herbert Keßler, Natalie Beer sei neben den beiden anderen Geehrten, Gertrud Fussenegger und Eugen Andergassen, ein Vorbild für die jüngere heimische Autorengeneration, besonders was ihr Verhältnis zur Heimat anbelange. Diese Einschätzung der Autorin durch die politisch wie kulturell Verantwortlichen änderte sich in letzter Zeit allerdings grundlegend.

Wenige Tage nach der Ausstrahlung des Interviews kam es im Vorarlberger Landtag zu einer lebhaften Diskussion um die politische Dimension der Aussagen von Frau Beer. Die Opposition warf dem Landeshauptmann vor, Natalie Beer als »Vorzeigedame der Vorarlberger Kulturpolitik« verwendet zu haben; der Landeshauptmann dagegen berief sich auf einstimmige Beschlüsse und meinte, die vom Land verliehenen Ehrungen seien lange vor den umstrittenen Äußerungen erfolgt.

Der Franz-Michael-Felder-Verein rechtfertigte sich durch das Vorstandsmitglied Dr. Karl Heinz Heinzle in einem Leserbrief in der Neuen Vorarlberger Tageszeitung vom 13. Juli 1983: Die Kriterien, die der Verein »für eine solche Auszeichnung anlegt, sind ... ausschließlich künstlerische und nicht politische«. Dr. Heinzle berief sich weiters auf das »imponierende Gesamtwerk« der Autorin.

Eine Woche nach der Ausstrahlung des Interviews veranstaltete der ORF dazu eine Hörerdiskussion. Wie nicht anders zu erwarten, war das Interesse an der Sendung und somit die Zahl der Anrufer sehr groß; nicht zu erwarten waren hingegen die Aussagen einer großen Zahl von Hörern: Sie reichten von Bewunderung für den »Mut« von Natalie Beer bis zur Betonung der »schönen Seiten« des Nationalsozialismus.

Wie sehen die Grundsätze aus, die von Frau Beer »mutig« vertreten wurden? Wie gestaltete sich der Werdegang der Schriftstellerin im Nachkriegsvorarlberg? Diese Fragen scheinen angesichts der genannten Reaktionen überaus wichtig, ihre Beantwortung belegt die Behauptung, wonach das Kapitel »Nationalsozialismus« in Vorarlberg - und sicher nicht nur hier - nie richtig aufgearbeitet worden ist.

Typisch an dem Interview und an vielen Hörer-Beiträgen war die unglaubliche Massierung neo- bzw. altfaschistischer Ideologeme, vom biederen »Wenn das der Führer gewußt hätte« über eine Neuauflage der »Dolchstoßlegende«, eine die historischen Fakten auf den Kopf stellende Kriegsschuldtheorie (»England war's«), bis zu geradezu rührenden menschlichen Komponenten in bezug auf Rudolf Heß. Natalie Beer hatte dies alles in wenigen Sätzen geschafft :»Und Hitler war nicht mehr imstande, Leute zu finden, die, so wie er, wirklich das Gute gewollt hätten und getan hätten, denn da kamen die schrecklichen Allerhandigen, denen man nicht mehr vertrauen konnte. Man hat's ja gesehen mit diesen schwierigen Dingen, Verrat und allem möglichen. Aber es waren die ganzen Mitarbeiter, vielleicht auch die engeren, nicht mehr imstande, die Idee weiterzutragen. Es ist alles schlampig gemacht worden, man hat nicht mehr den Ernst der Sache gesehen. Und der Krieg: Als es dann soweit war, vielleicht auch, weil sie mehr Lebensraum suchten, der ist - ich möchte nicht einmal sagen so sehr von Rußland, sondern auch von England gekommen. Und England hätte die Möglichkeit haben sollen oder das Gewissen haben sollen, daß es ein indogermanisches Volk ist, daß es hier dazusehen muß und nicht dagegen sein müßte. England war immer einer der größten Gegner in allem, drum kommt auch Rudolf Heß noch nicht heraus, der da ein ganzes Leben da in Spandau sitzt. Ich meine, das sind nicht einmal die Russen, das ist England"1.

In dieser Passage fehlt eigentlich nur eine der häufig zu hörenden rechtsextremistischen Anschauungen: die Leugnung bzw. Verharmlosung der Konzentrationslager. Natalie Beer holt dies denn auch gleich nach: »Und die Juden, das ist natürlich ein dunkles Kapitel, das muß ich ja selbst sagen, und das sagen alle, obwohl diese sechs Millionen, von denen man redet, auch aus der Luft gegriffen sind"2.

Schließlich wußte sie natürlich auch nichts von den Konzentrationslagern, die bei ihr verharmlosend zu »Anhaltelagern« werden: »Auschwitz, bitte, das sind Namen. Vielleicht (schrieb ich) drum nicht (darüber): Wir hörten nie etwas, das ist das Eigenartige«3. Frau Beer gehörte der NSDAP jedoch nicht etwa nur als einfaches Mitglied an, sie war in der obersten Führungsetage des Parteiapparates und beschreibt dies in ihren Lebenserinnerungen auch recht ausführlich: »Die sieben schönsten und reichsten Jahre meines Lebens", nennt Natalie Beer ihre Zeit in Innsbruck4, die Jahre von 1938 bis 1945, die Zeit der NS-Diktatur in Österreich, jene Zeit, in der sie Karriere machte. In der Zentrale der NSDAP, Gau Tirol-Vorarlberg, tätig, avancierte Natalie Beer schnell zur Abteilungsleiterin für Presse und Propaganda in der NS-Gaufrauenschaft: Diese Gliederung der NSDAP hatte die Aufgabe, »...dem Führer politisch und weltanschaulich zuverlässige Führerinnen zu erziehen«5. Während das »Deutsche Frauenwerk« als Sammelbecken für möglichst alle Frauen gedacht war, »(stellte) die NS-Frauenschaft (...) auf Grund ihrer politischen Aufgabenstellung eine Auslese dar, in der nur bereits bewährte Frauen Mitglieder werden konnten«6. Unter anderem führte die Frauenschaft beispielsweise für Angehörige von SS und SA sechswöchige »Bräuteschulungen« durch.

In dieser Funktion von Konzentrationslagern »nie etwas (...) gehört zu haben«, ist wohl kaum möglich, zumal ihre Einrichtung sogar in Zeitungen gefeiert wurde.

Was konnte man im »Dritten Reich« - wenn man nicht gar zu den Tätern gehörte - von den Verfolgungen wissen? Was war in Innsbruck darüber zu erfahren? Ein Beispiel soll es illustrieren: Um die Bevölkerung auf die Judenverfolgung bzw. - Vernichtung »einzustimmen«, wurden in der Nacht vom 9. auf den 10. November 1938 in ganz Deutschland Pogrome durchgeführt, bewerkstelligt durch SS und SA in Zivil - es sollte so aussehen, als empörte sich die »kochende Volksseele«. Neben dem Einschlagen von Fensterscheiben »jüdischer« Geschäfte (»Reichskristallnacht«), der Zerstörung jüdischer Kulturdenkmäler usw. wurden Juden auch persönlich angegriffen und zum Teil schwer verletzt oder gar getötet. Der Bevölkerung sollte demonstriert werden, wie man künftig mit Juden zu verfahren gedachte.

Auch in Innsbruck, dem Tätigkeitsfeld Frau Beers, war die Situation nicht anders: Die Synagoge in der Sillstraße wurde zertrümmert, ein jüdisches Ehepaar in die Sill geworfen, Richard Graubart, Karl Bauer und Dr. Richard Berger wurden erschlagen bzw. bestialisch erstochen. Die »Innsbrucker Nachrichten« jubelten: »Tiroler Fäuste haben nichts an Kraft verloren«7.

 

In der Gauleitung erfuhr man nichts davon?

 

Auch heute noch kann sich Frau Beer zu keiner klaren Distanzierung von den NS-Verbrechen durchringen. Auf die einfache Frage, wie sie heute zur Rassenpolitik des Nationalsozialismus stehe, antwortete sie: »Sie stellen Fragen, auf die ich überhaupt nicht vorbereitet bin, in keiner Weise. Aber ich sah eben damals, daß es gut ist, wenn man die deutschen Länder zusammenschließt, die deutschen Völker zusammenschließt. Daß man die Juden da ausgeschlossen hat, nicht einmal mit einbegriffen hat, es waren ja auch deutsche Juden, die schon in Deutschland geboren sind, daß man die natürlich... Ich weiß es nicht. Daß sie geflohen sind oder daß man sie verhaftet hat, das ist ja dann zustande gekommen. Aber damit war sicher von uns nicht einer einverstanden, ich glaube es nicht, aber ganz sicher nicht. Und da kann man auch … Ich meine, wen will man da zur Verantwortung ziehen?«8.

Um den Skandal, den die Förderung dieser Schriftstellerin durch politisch und kulturell Verantwortliche seit vielen Jahren darstellt, in seinem ganzen Umfang zu ermessen, muß man auch das Leben der Hochgeehrten nach 1945 in Betracht ziehen. Natalie Beer macht aus der Verachtung gegenüber jenen, die sich mit den nach 1945 wiedererstandenen demokratischen Verhältnissen arrangierten, kein Hehl und bekennt sich nach wie vor zur »Idee« des Nationalsozialismus: »Aber der Geist, das geistige Erbe, das der Nationalsozialismus gebracht und den Menschen eingeprägt hat, das ist ein starkes Erbe gewesen. Und ich schaue heute noch alle, die nachher wieder zum Kreuz gekrochen sind, als lautere Verräter an und lauter Leute, die einfach keinen Charakter hatten. Sie haben keinen Charakter«9. Natalie Beer aber hatte und hat.

Und diese klare Grundhaltung wurde und wird offenkundig nicht nur von ihren Gesinnungsfreunden gewürdigt, von verschiedenen Seiten wurde und wird der »harte Kampf«, den Frau Beer im Nachkriegsvorarlberg zu führen hatte, gewürdigt. Besonders betont wird immer das Veröffentlichungsverbot, welches unmittelbar nach Kriegsende gegen sie ausgesprochen wurde. Aber keine Angst: »Die der Macht des Wortes verschriebene Dichterseele konnte jedoch durch äußeren Zwang nicht mundtot gemacht werden«10.

Nein, mundtot konnte man die der »Macht des Wortes« Verschriebene nicht machen, zumal sie sich nicht nur auf diese »Macht« verlassen mußte. Sie kannte auch Mächtige. Die verhängnisvolle Rolle der Dornbirner Textilindustriellen am Aufkommen des Nationalsozialismus im Lande ist hinlänglich bekannt; auch nach Kriegsende verschaffte man einigen »Standfesten« wichtige Positionen, die neugegründete »Dornbirner Mustermesse« bot einige Möglichkeiten. Neben vielen »Ehemaligen« war auch Natalie Beer als Leiterin der Abteilung für Auslandskontingente mit dabei11.

Für ihr weiteres Fortkommen war gesorgt, auch ohne daß sie hätte »zu Kreuze kriechen« müssen.

Im Gegenteil, Natalie Beer betätigte sich weiterhin im Sinne ihrer Weltanschauung. Im Buch »Rechtsextremismus in Österreich nach 1945« sind Belege für die politischen Aktivitäten der (zu) viel Geehrten zu finden. So hatte die Schriftstellerin überaus enge Kontakte zum »Deutschen Kulturwerk Europäischen Geistes«, und der rechtsextreme »Eckartbote« würdigte Natalie Beer anläßlich der Verleihung des Professorentitels ausführlich.

Beim »Deutschen Kulturwerk Europäischen Geistes« handelt es sich um eine ebenfalls rechtsextreme Organisation, die in Österreich, besonders in der Steiermark, aktiv ist. 1979 beispielsweise wurde die von ihr geplante Veranstaltung über »Die Kriegsschuld des deutschen Widerstands« verboten. Neben Kolbenheyer-Gedenkfeiern und ähnlichem trat die Organisation besonders 1976 ans Licht der Öffentlichkeit: erst nach energischen Protesten der Bevölkerung wurde damals ihre »Tausendjahrfeier Deutsche Ostmark« und für über ein Jahr die ganze Organisation verboten. Man half sich 1977 mit der Gründung des »Deutschen Kulturwerkes«, dessen Vorstand und Mitgliedschaft mit der erwähnten Vereinigung praktisch identisch ist. Natalie Beer hat zusammen mit Leuten wie dem NDP-Vorsitzenden Norbert Burger oder dem inzwischen verstorbenen Hans Ulrich Rudel im September 1979 als Referentin an der »Gästewoche« des »Deutschen Kulturwerkes« teilgenommen12.

Sind diese Aktivitäten den Ehrungen Verteilenden verborgen geblieben? Der Landeshauptmann und ehemalige Bürgermeister von Rankweil will, so das Nachrichtenmagazin profil vom 1.8.1983, »von ihrer politischen Einstellung ... bis zum Interview gar nichts gewußt haben«. Dabei war die in Rankweil wohnende Natalie Beer politisch doch alles andere als zugeknöpft!

In der eingangs erwähnten Stellungnahme des Vorstandsmitglieds des Felder-Vereins, Dr. K. H. Heinzle, wird gefordert, Natalie Beers »imponierendes Gesamtwerk« zu berücksichtigen: »Auch wenn es manchmal schwerfällt, muß man doch das Künstlerische vom oft Allzumenschlichen trennen.«

Was hier unter dem Begriff des »Allzumenschlichen« subsumiert wird, scheint nicht uninteressant, wird aber leider nicht näher ausgeführt. Bei der Betrachtung des »imponierenden Gesamtwerkes« wären aber doch einige Werke genauer zu betrachten gewesen. Die »Blut- und Bodenmetaphorik« der Romane »Schicksal auf Vögin« oder »Der Urahn« jedenfalls wird doch wohl nicht gemeint sein. Im Werkverzeichnis des jüngst von der Rheticus-Gesellschaft herausgegebenen Buches »Natalie Beer: Funde am Lebensweg« sind zwar einige Zeitungsartikel der Autorin angeführt (etwa: »Romfahrt im Heiligen Jahr 1933«), anderes auf diesem Lebensweg wurde aber nicht mehr gefunden. So ein bemerkenswerter Artikel im »Feierabend«, der Beilage des nationalsozialistischen Vorarlberger Tagblattes, vom »6. Ostermond 1938«: »Als ich zum erstenmal den Führer sah«. Die ekstatische Beschreibung dieses Erlebnisses endet lyrisch:

Du bist in deinem Volk enthalten
und dein Volk wächst hoch in Dir.
Du gehst in tausend Taggestalten
eins mit ihm, ein einzig Wir.

Bei genauerer Lektüre des »Tagblattes« wären auch andere Aspekte aufgefallen. Als sich der an sich schon sehr »nationale« »Schutzverband Deutscher Schriftsteller Österreichs« in einem Protesttelegramm an den österreichischen Gesandten in Berlin gegen die dort durchgeführten Bücherverbrennungen aussprach, spalteten sich die damit nicht einverstandenen Vorarlberger Schriftsteller ab und gründeten eine »Vereinigung Vorarlberger Schriftsteller«, die Anschluß an den reichsdeutschen Schriftstellerverband finden wollte. Mit dabei als »2. Schriftwart« ein Frl. Natalie Beer13.

Nochmals: Es geht nicht darum, einer Schriftstellerin »Jugendsünden« vorzuwerfen, es geht nicht einmal darum, dieser Schriftstellerin enge Kontakte zu rechtsextremistischen Organisationen nachzuweisen. Die Darstellung des »Falles Beer« soll deutlich machen, wohin es führen kann, wenn für bestimmte Kulturpolitiker die stramm rechtskonservative Ausrichtung künstlerisch Tätiger das wichtigste Kriterium für Ehrungen wird: Man überschreitet vielleicht unbemerkt die eine oder andere Grenze. Besonders ärgerlich wird die Angelegenheit, wenn dies in einem Land passiert, das wahrlich genug Schriftsteller hat, die Ehrungen und Förderungen verdienen würden, diese aber oft nur außerhalb der Region erhalten.

Immerhin gelang es im Felder-Verein doch noch, anläßlich der 15. Hauptversammlung zu einer akzeptablen Distanzierung zu kommen: »Der Verein hätte sich die Verleihung dieser Ehrung gründlich überlegt, wenn diese Äußerungen und Publikationen vorher bekannt gewesen wären.«

Der »Fall Beer« ist also »passiert«: Schwamm drüber! Oder bleiben da nicht noch Fragen, nämlich jene nach den Ursachen? Welches Verhältnis haben Politiker zur Literatur, zur von ihnen geförderten Literatur? Ist Literatur hier nicht offensichtlich nur ein notwendiges bzw. einfach vorhandenes Übel? Wie steht es um das kulturelle Klima, wenn man Schriftsteller wie Beer allen Ernstes als Vorbilder preist, der Jugend zur »Nachahmung« empfiehlt?

Am »Fall Beer« wurde deutlich, daß in Vorarlberg aufgrund einer fehlenden Auseinandersetzung über Literatur und Kultur allgemein, in Ermangelung von Kriterien für förderungswürdige Tendenzen im kulturellen Leben, von den Verantwortlichen das gefördert wird, was problemlos erscheint, nicht kritisch ist: Konservatives Beharren, Heimatverbundenheit, Traditionalismus.

Siegfried Gabrielli brachte es im »Kultur-Journal« vom Juni 1983 in bezug auf die Ehrung von Beer, Andergassen und Fussenegger auf folgenden Nenner: »Bekennermut zu der Väter Erbe und das Hochhalten eines nicht exakten - oder doch eher restaurierend traditionellen? - Heimatbegriffes entsprachen zwar sicher den Idealen der drei Geehrten, nicht unbedingt jedoch jenen heutigen Strömungen unter den Literaten, um die sich der Franz Michael Felder-Verein, im Untertitel auch >Vorarlberger Literarische Gesellschaft< genannt, auch bemüht und darin eine Weiterentwicklung und geistige Auseinandersetzung im Lande zu fördern hofft.«

Diese Auseinandersetzung findet glücklicherweise trotz der offiziellen und offiziösen Kulturpolitik statt. Es ist gerade dieser Begriff der »Heimat« oder der »Heimatverbundenheit«, der viele meist jüngere Menschen im Lande beschäftigt, es ist das Bewußtsein, daß diese »Heimat« in all ihren geschichtlichen und kulturellen Facetten nicht einfach im Sinne restaurativer Traditionspflege dargestellt werden kann. Es gab eben auch einen Franz Michael Felder in Vorarlberg!

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Zum weiteren Verlauf der Debatte um Natalie Beer siehe die Beiträge von Kurt Bereuter in der Zeitschrift KULTUR, Mai 2021 sowie in der KULTUR, September 2021.


1      Abschrift des Interviews in der Dokumentensammlung der Johann August Malin-Gesellschaft; im folgenden zitiert: MS, hier S. 4.

2      Ebd. S. 5.

3      Ebd. S. 15 f.

4      Natalie Beer, Der brennende Rosenbusch. Lebenserinnerungen, Graz-Stuttgart 1983, S. 180.

5      Hilde Kammer/Elisabeth Bartsch, Jugendlexikon Nationalsozialismus. Begriffe aus der Zeit der Gewaltherrschaft 1933-1945, Reinbek bei Hamburg 1982, S. 142.

6      Ebd.

7      Vgl. hierzu Herbert Rosenkranz, »Reichskristallnacht«. 9. November 1938 in Österreich, Wien 1968, und Gad Hugo Sella, Die Juden Tirols. Ihr Leben und Schicksal, Tel Aviv 1979.

8      MS, S. 6 f.

9      MS, S. 8.

10    Eberhard Tiefenthaler, Vorwort zu Natalie Beer, Funde am Lebensweg. Erzählungen, Skizzen, Gedichte, Feldkirch 1983 (= Schriftenreihe der Rheticus-Gesellschaft 15). S. XL

11    Vgl. Beer, S. 188.

12    Vgl. Dokumentationsarchiv des Österreichischen Widerstands (Hrsg.), Rechtsextremismus in Österreich nach 1945, Wien 19825, S. 182 ff.

13    Vorarlberger Tagblatt vom 15. Mai 1933.

 

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