Meinrad Pichler (2012): Bruno Amann - Der antisemitische Schreibtischtäter
Meinrad Pichler
Bruno Amann: Der antisemitische Schreibtischtäter
Erschienen in Meinrad Pichler: Nationalsozialismus in Vorarlberg. Opfer ‑ Täter – Gegner, Innsbruck: StudienVerlag 2012, S. 177-180
Die Vernichtung des europäischen Judentums durch die Nationalsozialisten wäre ohne geistige Wegbereiter nicht möglich gewesen. Im Jahre 1938 setzt die österreichische Bevölkerung der Ausrottungspolitik kaum einen Widerstand entgegen. Das antisemitische Denken und Empfinden ist schon zu tief verwurzelt. Im Gegenteil: Die Zwangsmaßnahmen finden weitgehende Zustimmung. Was nach dem Abtransport mit den jüdischen MitbürgerInnen tatsächlich geschieht, will man nicht so genau wissen, oder es ist einem einfach egal.
Doktorat in Antisemitismus
Einer der radikalsten antisemitischen Stimmungsmacher ist der Vorarlberger Bruno Amann. 1913 in Hohenems geboren, besucht Amann nach der Volksschule das Bregenzer Gymnasium, wo er im Frühjahr 1933 die Reifeprüfung ablegt. Schon während der Schulzeit fällt Amann durch scharfe Diskussionsbeiträge und „mitreißende“ Ansichten, die er heftig vertritt, auf. „Er war voller Pläne und duldete keine Halbheiten“, schreibt ein Mitschüler später. Und: „Er war ein Feuergeist und blieb es zeitlebens.“[1]
Bald nach seinem Übertritt an die Universität Wien, wo er Philosophie und daneben auch Volkswirtschaft studiert, schließt er sich dem inzwischen illegalen „Nationalsozialistischen Deutschen Studentenbund“ an. Hier hält er bereits die ersten Schulungsvorträge über das Judentum. 1935 wird er wegen dieser politischen Betätigung eine Zeit lang inhaftiert. Seine Doktorarbeit schreibt er unter dem Einfluss von Othmar Spann, dem Vordenker des „Ständestaates“, dessen antisemitische und antimoderne Ideen sich aber mehr mit dem Nationalsozialismus decken als mit dem Weltbild des autoritären Katholizismus. Er gehört zum Kreis der so genannten „nationalen Katholiken“, die ihr politisches Ideal in einem vormodernen deutschen Großreich unter österreichischer Führung sehen, aber auch Sympathien für den nationalsozialistischen Reichsgedanken hegen. Seit 1928 ist Spann Vorstandsmitglied im „Kampfbund für deutsche Kultur“. Gründer und Chef dieser nationalsozialistischen Vorfeldorganisation ist Alfred Rosenberg, Hitlers Chefideologe in Kultur- und Rassenangelegenheiten. Spanns und Rosenbergs Gedanken werden zum geistigen Fundament des Studenten Bruno Amann. Als Doktorvater fungiert Professor Hans Eibl, auch er ein nationaler Katholik, der die „deutsche Mission“ des „Ständestaates“ preist, daneben aber seit 1935 Mitglied der illegalen NSDAP ist.
Amanns Dissertation von 1937 mit dem Titel „Die geschichtliche Philosophie des Deutschen Idealismus“ ist das ideologische Gesellenstück, auf dem das kommende „Meisterwerk“ fußen wird. Im Kopf des „Feuergeistes“ aus Hohenems schwellen der „deutsche Idealismus“ und der „jüdische Materialismus“ zu derart übermächtigen gegensätzlichen Prinzipien an, dass jeglichem vernünftigen Gedanken der Platz genommen wird.
Im Sommer 1938 stellt Amann den Antrag auf Aufnahme in die NSDAP, und kurz darauf findet er einen Verleger für sein Machwerk „Das Weltbild des Judentums. Grundlagen des rassischen Antisemitismus“. Wie schon der Schüler duldet auch der erwachsene Amann in seinem geradezu rasenden Antisemitismus „keine Halbheiten“. „Denn“, so Amann, „solange in irgendeiner Form jüdisches Denken und Empfinden im deutschen Volke vorhanden sind, ist die Judenfrage keinesfalls gelöst.“[2]
Die Vertreibung und Vernichtung der jüdischen Menschen reicht also noch nicht, auch die als „jüdisch“ erkannten Ideen müssen laut Amann ausgerottet werden. Dabei spielt es keine Rolle, dass es sich bei diesen „jüdischen Ideen“ um völlig gegensätzliche und miteinander unvereinbare Gedankenwelten handelt. Für Amann ist zum Beispiel der „demokratische Individualismus“ ebenso ein Produkt jüdischen Denkens wie der „kollektivierende Bolschewismus“. All diesen „zerstörerischen“ Weltauffassungen stellt Amann die Idee des „gerechten Reiches“ entgegen, die er ausführlich historisch herleitet und die nur in der deutschen Geschichte ihre wahre Ausformung finde: „Die nationale Geschichte in ihrer Gesamtheit ist heilig, allein schon deshalb, weil Deutsche sie gestaltet haben.“[3] Und im Umkehrschluss ist für Amann klar, dass alles Jüdische „unheilig“ ist, weil es das deutsche Weltprinzip unterlaufe und verunreinige.
Jetzt, so Amann, sei der Endkampf entbrannt „um den Sieg des Reiches über das Gegenreich, des völkischen ‚Christentums’ über das Judentum, der nordischen, typenbildenden Wertewelt über die römisch-semitische, chaosschaffende, nivellierende und zersetzende Unterwelt; der Kampf ist entbrannt um den Sieg des aristokratischen völkischen Staatsprinzips über Bolschewismus und Demokratie.“[4] Auch die heute unverständliche Frage, warum der Nationalsozialismus für die Vernichtung des Judentums so gewaltige und schreckliche Energien aufbringe, beantwortet Amann kurz und grundsätzlich: „Die Wiedergeburt des germanischen Reiches der Deutschen steht und fällt mit der Judenfrage“.[5] Kurz: ohne Vernichtung der Juden kein neues Deutschland.
Seinen schriftstellerischen Eifer sieht er deshalb als Baustein am neuen Reichsgebäude und seinen hetzerischen Antisemitismus als Beitrag „zum nationalsozialistischen Sieg über das Weltjudentum“. In seiner Vision der neuen „ewigen Ordnung“ sind „alle Gegensätze in einer ewigen Volks- und Führerordnung aufgehoben und versöhnt“, und der „semitische Zerstörergeist ist überwunden.“[6] Selbst dem Rezensenten im nationalsozialistischen „Vorarlberger Tagblatt“ ist Amanns radikal antisemitisches Weltbild unheimlich.[7]
In seinem zweiten Buch „Der Sinn unseres Krieges“ dehnt Amann sein primitiv zweipoliges Geschichts- und Weltbild auf England und Frankreich aus. Jetzt gilt ihm Westeuropa als Gegenwelt zum Deutschtum: dort die geldgierigen calvinistischen Krämerseelen und hier die wertorientierten Idealisten. Deshalb sei der tiefere Sinn des von Hitlerdeutschland vom Zaun gebrochenen Krieges nicht die imperialistische Eroberung, sondern eine geistige Mission. Westeuropa sei vom Geist „des demokratischen Imperialismus“ beherrscht, und besonders die britische Politik sei „das Produkt weltbeherrschender Macht des beutedurstigen, semitisch gewordenen, listigen Wikingertums, vermischt mit unersättlichen Rachegefühlen asiatischer Nomaden gegen das deutsche Volk“[8]. Alle traditionellen und neu erfundenen Feindbilder des deutsch-völkischen Rassismus werden hier gebündelt und gegen den aktuellen Kriegsfeind England in Stellung gebracht.
Von der völkischen Mission zur Dornbirner Messe
Als diese zweite Propagandaschrift 1940 erscheint, ist Bruno Amann bereits deutscher Soldat und bleibt es bis zum Ende des Krieges. Kurz nach der Gefangennahme in Berlin gelingt ihm die Flucht aus einem Gefangenenlager der Alliierten, und bereits im Sommer 1945 ist er zu Hause in Hohenems – und bald wieder am Schreiben. Nachdem aber das „Dritte Reich“, dem seine ganze politische Hoffnung, seine geschichtsphilosophische Mission und seine schriftstellerische Energie gehört haben, in Schutt und Asche liegt, gilt es politisch unbedenklichere Felder zu beackern. Zusammen mit dem Dornbirner Herbert Kaufmann gründet Amann im September 1945 den „Vorarlberger Volksanzeiger“, ein reines Anzeigenblatt, und als freier Journalist beliefert er auch bald die neu gegründeten „Vorarlberger Nachrichten“.
Und was jetzt noch kommt, kann man kaum glauben: Im Herbst 1945 wird Bruno Amann zum Öffentlichkeitsreferenten der „Österreichischen demokratischen Widerstandsbewegung“ (ÖDW) und zum Mitarbeiter von deren Landessekretär Dr. Georg Blocher bestellt. Diese „Widerstandsbewegung“ ist erst nach dem Krieg ins Leben gerufen worden – zur Unterstützung der französischen Verwaltung und Entnazifizierung des Landes. Beide, Amann und Blocher, haben in Wien miteinander studiert – und beide sind Parteianwärter, also Kandidaten für die Aufnahme in die NSDAP, gewesen.[9]
Zur selben Zeit wird von einigen jüngeren Vorarlbergern, die nicht schweigend und verdrängend ins neue Österreich übertreten wollen, die Zeitschrift „Homunculus“ gegründet. Die Redakteure versuchen, die schreckliche Vergangenheit aufzuarbeiten, und sie nennen noch zu einem Zeitpunkt Täter beim Namen, als sich die Landespolitik und die dominierenden Medien bereits auf das Schweigen geeinigt haben. Im Jännerheft 1946 wird auf Amanns antisemitische und kriegshetzerische Bücher hingewiesen.[10] Kurz darauf wird er von der französischen Besatzungsmacht zur Verantwortung gezogen und ein halbes Jahr interniert - und zwar im Bergwerk Wirtatobel, wo auch andere schwer belastete Nationalsozialisten zu nützlicher Arbeit angehalten werden. Das Auffliegen Amanns, der an die Spitze der so genannten „Widerstandsbewegung“ aufgerückt ist, führt zu einer weiteren Schwächung der Glaubwürdigkeit dieser von ehemaligen Nazis durchsetzten Organisation.
Im Lager lernt Bruno Amann jenen Mann näher kennen, der für seine kommende Karriere die entscheidenden Weichen stellen wird. Es ist dies der Dornbirner Textilunternehmer Hermann Rhomberg, ein früher und überzeugter Nationalsozialist, der während der „Dritten Reichs“ hohe wirtschaftspolitische Ämter bekleidet hat.
Bevor sich aber Amann und Rhomberg im geschützten Milieu der 1949 gegründeten „Dornbirner Messe“ wieder treffen, haben beide noch an der Entsorgung ihrer persönlichen NS-Verstrickung zu arbeiten. Amann beispielsweise wird 1948 vor die „Zentralkommission zur Bekämpfung der NS-Literatur“ geladen. Er leistet der Vorladung nach Wien allerdings keine Folge; sein Rechtsanwalt Dr. Eduard Hammerl, auch ein ehemaliger nationalsozialistischer Funktionär, macht dafür Verfahrensmängel verantwortlich. So werden Amanns Bücher ohne Anhörung des Autors von der Kommission einstimmig auf die Liste verbotener Bücher gesetzt, „weil es sich hier eindeutig um nationalsozialistische Propaganda handelt“[11].
Hermann Rhomberg, Mitbegründer der „Dornbirner Export- und Mustermesse“, wird 1949 deren erster Ausstellungsleiter und später Präsident. Hier kann man nun einen begabten Propagandisten brauchen. Rhomberg macht Dr. Bruno Amann zu seinem Pressechef und danach zum Mitglied der Geschäftsführung der Mustermesse. Unermüdlich ist Amann nun dafür unterwegs, diese Veranstaltung in und über Österreich hinaus bekannt zu machen. Auch Reisen ins ehedem verhasste Westeuropa werden selbstverständlich.
Bruno Amann hat im Messebüro vertraute gleichgesinnte Gesellschaft. Denn Hermann Rhomberg sorgt dafür, dass auch andere ehemalige NS-SchreiberInnen eine neue berufliche Heimat finden. Die Dichterin Natalie Beer, unverbesserliche Nationalsozialistin bis in den Tod (1987), ist hier als Sekretärin tätig. Die ehemalige NS-Journalistin Ida Bammert Ulmer werkt als Amanns Assistentin. Und schließlich erhält auch der ehemalige NS-Landeshauptmann Anton Plankensteiner, nachdem er seine Gefängnisstrafe verbüßt hat, eine Anstellung. In der Dornbirner Messe ist man unter sich, hier muss man seine Worte und Gedanken nicht den Forderungen der „Umerziehung durch die Alliierten“, so der Nazi-Jargon, anpassen.
Auch als Pressechef der Dornbirner Messe kennt Amann, wie schon zu seinen Schulzeiten, keine „Halbheiten“. Er ist unermüdlich im Einsatz, reist viel, betreut und bedient die Wirtschaftsjournalisten und hat auch selbst eine gute Presse. Noch nicht 50-jährig stirbt Amann 1963 während einer Dienstreise in Wien an einem Herzinfarkt. Für die Messe hat er als Pionier viel geleistet, ob er aber – wie sein Nachrufer meint – seiner Schule, dem Gymnasium Bregenz, „Ehre gemacht“ hat, darf angesichts seines politischen Irrlaufes bezweifelt werden. Ob er sein verzerrtes Weltbild des deutschen Rassen-Endkampfs gegen Juden, Engländer und Franzosen im Zuge seiner internationalen Erfahrungen als Messeherold korrigiert hat, bleibt ungewiss. Sicher ist nur eines: Sein unsägliches Buch hat ihn überlebt. Es wird heute unter Neonazis gern gehandelt und zitiert.
[1] Armin Wirthensohn, In Memoriam Bruno Amann, in : Jahresbericht des Bundesgymnasium Bregenz 1963/64, S. 68 f.
[2] Bruno Amann: Das Weltbild des Judentums. Grundlagen des völkischen Antisemitismus, Wien/Leipzig 1939, S. 41.
[7] Vorarlberger Tagblatt, 3.11.1939.
[8] Bruno Amann: Der Sinn unseres Krieges, Wien/Leipzig 1940, S. 122.
[9] Bericht über die Tätigkeit der Österreichischen demokratischen Widerstandsbewegung (wahrscheinlich verfasst von Theodor Veiter), Manuskript im Vorarlberger Landesarchiv.
[10] Homunculus, Zeitschrift für Menschen, Nr. 8, 2. Jännerheft 1946.
[11] Claudia Wagner, Die Zentralkommission zur Bekämpfung der NS-Literatur. Literaturreinigung auf österreichisch, Diplomarbeit Uni Wien, Wien 2005, S. 32.